Die rätselhaften Worte
Schönheit ist, wenn ich dieses Stück wieder in den Urzustand versetze.«
»Er ist wunderschön, Dick«, sagte Rye.
»Ja, nicht wahr? Und endlich ist jemand hier, der würdig ist, darauf zu sitzen. Da gibt es keinen Zweifel, was meinen Sie, Hat? Rye muß unser Obmann sein. ›Königin und Jägerin, keusch und schön …‹«
Mit diesen Worten hatte er ihre Hand ergriffen und sie genötigt, auf dem Sessel Platz zu nehmen.
Hat, der über diese Vertraulichkeit nicht erbaut war, glaubte, sich durch linguistische Korrektheit Pluspunkte verdienen zu können. »Obfrau, meinen Sie wohl. Oder wenigstens Obmännin.«
»So habe ich das gemeint, denken Sie?« erwiderte Dee freundlich. »Aber
Mann
war ursprünglich keineswegs geschlechtsspezifisch, sondern bedeutete
Mensch.
Manche leiten aus demselben indogermanischen Stamm
men
oder
mon
ab, der für mahnen im Sinne von ›denken, erinnern‹ angenommen wird, also in Bezug zur Kraft des rationalen Denkens steht, die uns von den Tieren unterscheidet. Ob das nun stimmt oder nicht, fest steht, daß das Wort erst wesentlich später die männlichen Mitglieder der Spezies bezeichnete. Und deshalb ist die Behauptung, jene Fälle, da es noch in seiner ursprünglichen Bedeutung
menschliches Wesen
gebraucht wird, demonstrierten männliche Arroganz und Alleinvertretungsansprüche, ebenso unsinnig wie die Vermutung, der Verbrennungsmotor sei erfunden worden, weil Henry Ford mit der Produktion von Kraftwagen begonnen hatte. Ich muß jedoch zugeben, daß ich vor ahnungslosen Leuten nicht unablässig meinen kleinen Vortrag halten kann, also finde ich mich im Land der Gemeinplätze in der Regel mit den Konventionen der neuen Beschränktheit ab. Aber hier, unter Freunden, muß niemand sein Licht unter den Scheffel stellen! Rye, sei unser Obmann, Hat, Sie sind unser Schemelhocker, und ich begnüge mich wie gewohnt mit dem Fußboden.«
Eigentlich waren Dees Bemerkungen ja ziemlich herablassend, fand Hat, aber er konnte nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. Widerstrebend mußte er einräumen, daß es eine seltene Kunst war, solches Zeug zu quasseln, ohne einem dabei auf die Nerven zu fallen. Hätte ihn nicht so die Eifersucht geplagt, er wäre vermutlich von Dee wirklich beeindruckt gewesen, der anscheinend seinerseits von Hat nicht unbeeindruckt war. Er nutzte jede Gelegenheit, Hat ein Stichwort zu liefern, das es ihm ermöglichte, mit seinen ornithologischen Kenntnissen zu glänzen, und zeigte dabei ein mehr als nur höfliches Interesse, während er bescheidene Selbstkritik übte, sobald Rye die Aufmerksamkeit auf seine Gemälde und die darauf dargestellten Vögel lenkte.
Wenn er als Vogelmaler auch nicht mit Aubusson oder mit dem Honourable Geoffrey zu vergleichen war, so war doch sein Gespür für die Darstellung des Vogelflugs unverkennbar, und Hat konnte neidlos in Ryes Loblied einstimmen.
Immerhin war es ein Trost, daß die scheinbare Vertrautheit zwischen Bibliothekar und Bibliothekarin sich offenbar nicht auf Einzelheiten aus Dees Privatleben erstreckte. Rye war offensichtlich ebenso überrascht wie Hat, daß ihr Kollege ein Landhaus besaß. Auch wenn »Landhaus« nicht ganz das richtige Wort war. Das Cottage war ziemlich primitiv und besaß keinerlei modernen Komfort.
»Ich bin oft zum See rausgefahren, um zu malen«, erklärte Dick, »und einmal habe ich mich hier untergestellt, als es anfing zu regnen – ich meine richtigen Regen, nicht diesen milden Himmelshauch. Und da kam mir der Gedanke, daß es wirklich praktisch wäre, so ein Häuschen zu haben, wo ich ein paar Sachen unterstellen und mal drinnen arbeiten könnte, wenn das Wetter nicht mitspielte. Also habe ich mich erkundigt und herausgefunden, daß alles zum Stang-Anwesen gehört, also zum Familienbesitz der Pyke-Strenglers. So nutzte ich meine Bekanntschaft mit dem Honourable Geoffrey, um ihn zu überreden, mir das Häuschen für eine symbolische Pacht zu überlassen. Ich halte den Laden ein bißchen in Schuß, was natürlich nur in meinem Interesse ist, und so haben alle etwas davon.«
»Wohnst du richtig hier?« erkundigte sich Rye.
»Hin und wieder bleibe ich über Nacht«, bekannte er. »Ich habe einen Schlafsack und einen Campingkocher und dies und das. Eigentlich wollte ich ja dem Nestbautrieb widerstehen. Ich möchte kein Wochenendhaus, nur ein Atelier. Aber es ist erstaunlich, wieviel Zeug sich ansammelt! Und wie ihr seht, bin ich so verwöhnt, daß ich gern Feuer mache, wenn es ein bißchen kühl
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