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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Berufserfahrung, man mochte es nennen, wie man wollte, aber er wußte ganz genau, was dieser Korb enthielt.
    »Nein!« schrie er und rannte zu ihr. »Rye, laß das!«
    Aber es war schon zu spät.
    Sie hob den Deckel hoch und spähte hinein.
    Offenbar versuchte sie, einen Schrei zu unterdrücken, oder vielleicht waren einfach ihre Stimmbänder gelähmt und brachten nur ein gedämpftes Echo des kreischenden Schleifsteins hervor. Einen Augenblick lang dachte er, sie würde rückwärts ins Wasser fallen, aber ihre schwachen Knie gaben nach, und als begriffe sie, daß etwas weichen mußte, entweder sie oder das Ding in ihrer Hand, schleuderte sie den Korb von sich, und er flog ans Ufer.
    Er schlug auf, hüpfte einmal, drehte sich, und heraus rollte ein menschlicher Kopf.
    Noch bevor er direkt vor Hats Füßen liegenblieb, wurde ihm klar, daß der Kopf zumindest in einer Hinsicht an diesem Orte nicht fehl am Platz war. Wenn ein Mensch schon sterben mußte, dann wenigstens auf seinem eigenen Grund und Boden.
    Dies war zweifelsfrei der Kopf von Geoffrey, Lord Pyke-Strengler of the Stang.

[home]
    Sechsunddreißig
    Der Sechste Dialog
    H
allo, da bin ich wieder.
     
    Ich auch. Was ist das für ein wunderbar abwechslungsreicher Weg, auf den du mich geschickt hast! Ein Gesetz für Umherschweifende, das nicht durch ein Parlament verabschiedet werden mußte.
    Er windet sich durch private Anwesen und öffentliche Gebäude, folgt alten Highways und ländlichen Nebenstraßen, und jetzt führt er mich fort aus der belebten Stadt ins dunkle Herz des Landes. Denn nicht ich führe meine Auserwählten auf dem Weg, es ist der Weg, der mich führt. Im Grunde trifft sogar der Weg die Wahl, wenngleich er sie in dem Glauben läßt, daß sie aus eigenem Antrieb voranschreiten. Ich selbst bin nur ein Instrument.
     
    Vielleicht ein Waldhorn. Die Vorstellung, ein Waldhorn zu sein, gefällt mir.
    Im Ernst, meine Rolle als schlichtes Instrument war niemals klarer als heute. Der Auserwählte hat auf seine Stichworte reagiert wie einer, der seine Rolle viele Stunden gebüffelt hat Nie ist bei der athenischen Bouphonia ein Ochse williger zum Altar geschritten. Alle notwendigen Werkzeuge stellte er selbst bereit, sogar die schuldhafte Waffe legte er mit eigener Hand in die meine.
    Und in diesem Augenblick blieb die Zeit stehen. Keine allmähliche, zögerliche Verlangsamung wie zuvor. Die Zeit ist … die Zeit ist nicht mehr.
    Und das Plätschern des Bachs rund um das vertäute Boot verschmilzt mit dem Ruf des Brachvogels zu einem langgedehnten melancholischen Tönen, das sich vom gekräuselten See bis in die riesenhafte Leere des Himmels hinzieht wie eine Telefonleitung zu den Göttern.
    Wie tröstlich ist der Gedanke, daß SIE sich dort oben zurücklehnen und mit feierlicher Billigung allem lauschen, was hier unten vor sich geht.
    Das geölte Stahlrohr in meiner Hand zittert und bebt seinem spontanen Höhepunkt entgegen. Und jetzt sprudelt sein Samen hervor, so schwarz und rund wie Störlaich durchstößt er die Luft, um unsterbliches Leben in dieses sterbliche Fleisch vor mir zu pflanzen. Sein Mund klafft weit auf in der Ekstase dieses Augenblicks der endgültigen Penetration, aber nicht so weit wie diese neue rote Öffnung an seiner Kehle, aus der ich nun seine Seele entweichen sehe wie einen Vogel, der seinem Käfig entrinnt. Da fliegt sie davon, flattert über den schimmernden See, genießt ihre jähe Freiheit, während hier auf der trüben Erde ihr leerer Käfig neben dem lachenden Bach zusammenbricht.
    Die schuldhafte Waffe schleudere ich in das reinigende Wasser.
    Kein Arm erhebt sich, um danach zu greifen.
    Noch bleibt Arbeit zu tun. Der Kopf, durch den Schuß aus der Schrotflinte halb abgetrennt von seinem fleischigen Stengel, muß vollständig abgerupft und in seinen Behälter gelegt werden. Die Axt ist zur Hand – wo sollte sie sonst sein? Drei Hiebe vollenden das Werk, nicht mehr, nicht weniger. Denn an diesem Tag sind aller guten Dinge drei; drei in einem, die Dreifaltigkeit ist vollständig, als ich die Leiche in den dröhnenden Bach wälze.
    Und die Axt? Ich wiege sie in der Hand und betrachte das unergründliche Wasser. Aber sie trägt keine Schuld. Sie ist ein Werkzeug auf meinem Weg und hat nichts mit seinem Abgang zu tun. Also soll sie bleiben. Ich nehme sie mit, und mit jedem Schritt spüre ich, wie der Hemmschuh der Zeit wieder greift.
    Oh, laß mich bald jenen sicheren Hafen erreichen, wo ich für immer auf der Stelle treten

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