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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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beispielsweise – ich kenne es, aber bei einer Dame sollte man immer sichergehen – dein Geburtsdatum.«
    »Erster Mai 1976.«
    »Erster Mai sechsundsiebzig. Maifeiertag. Ach, jetzt hab’ ich’s. Das ist Stier, natürlich. Wenn du die Buchstaben hättest, um deinen eigenen Namen im Feld deines Sternzeichens zu legen, dann würdest du damit Extrapunkte machen. Wenn du allerdings als erster beherrschende Planeten in deinem Sternzeichen belegen könntest, die an deinem Geburtstag, oder besser noch, zu deiner Geburtsstunde in Konjunktion stehen, dann würdest du dafür, wenn du mir den Tropus gestattest, eine astronomische Punktzahl bekommen. Entschuldigung. Ich bin berauscht von meiner Liebhaberei. Nichts ist langweiliger als das Gestammel eines Betrunkenen!«
    »Es ist nicht langweilig«, versicherte sie ihm. »Nur ein wenig verwirrend vielleicht. Ich habe mir die Kopie der Regeln durchgesehen, die du mir gegeben hast. Aber um ehrlich zu sein, ich habe danach noch weniger verstanden als vorher.«
    »Das geht jedem so«, sagte er. »Die besten Spiele sind wie die besten Dinge im Leben – man lernt sie erst, wenn man sich auf sie einläßt. Aber vielleicht darf ich dir das ein wenig erläutern …«
    Natürlich gelangten sie von der Erläuterung zur Demonstration und dann zum Spiel.
    Als Dee das dritte Spielsteinbänkchen mit den Buchstaben des Namens »Johnny« aufstellte, schaute sie ihn fragend an. »Ein Schulkamerad, der gestorben ist«, erklärte er.
    »Der Junge auf dem Foto?«
    »Genau der. Johnny Oakeshott. Ich habe nie mehr einen Menschen mit einem so empfindsamen Naturell kennengelernt. Charley Penn und ich waren ein gutes Team, aber erst durch Johnny wurden wir sozusagen komplett. Davor war unsere Freundschaft eine erfolgreiche Verbindung von Intellekt und Phantasie. Johnny hat ihr die menschliche Seele eingehaucht. Klingt das zu sentimental?«
    »Nein«, sagte sie. »Nein, überhaupt nicht.«
    Er lächelte sie an und fuhr fort: »Ich habe gewußt, daß du das verstehen würdest. Wir haben damals immer zu dritt gespielt. Johnny war kein herausragender Spieler, aber er war einfach gern dabei.«
    »Dann ist er gestorben?«
    »Ja«, sagte er düster. »Ein eifersüchtiger Gott hat ihn uns genommen. Seit dieser Zeit stellen wir immer ein Bänkchen für ihn auf. Und eine ungeschriebene Regel erlaubt es, die Steine von Johnny den eigenen hinzuzufügen, wenn sich mit ihnen ein vollständiges Wort in irgendeiner Sprache bilden läßt.«
    »Was dann? Hat er dann mit einem Schlag gewonnen?«
    Dee hob die Schultern und antwortete: »Wer weiß? Es ist bislang noch nicht vorgekommen. Ich stelle mir manchmal vor, wenn es passiert, würde Johnny mit einem Mal an seinem Platz sitzen und mitspielen. Die Magie der Worte, weißt du. Aber das ist zu schauerlich. Laß mich dich lieber in mein Geheimnis einführen.«
    Und so begann das Spiel. Dee genoß die Rolle des geduldigen Lehrmeisters. Rye kam es dagegen so vor, als würde er jedesmal, wenn sie das Spiel kapiert zu haben glaubte, ein neues und noch komplizierteres Element einführen. Nicht, daß sie sich unter Leistungsdruck gefühlt hätte. Sie bekam bald ein Gefühl dafür, daß sich das Spiel dem Kundigen mehr als partnerschaftlicher Tanz denn als Wettstreit darbot. Die reichen Verzierungen auf dem Brett glitzerten, und wenn man die Hand in den Behälter senkte, um seinen Vorrat an Buchstaben zu ergänzen, strichen einem die glatten, aus Elfenbein geschnitzten Plättchen wie seidige Fische durch die Finger. Dieser Behälter selbst war ein wunderschöner Gegenstand, kein Kasten aus Blech oder abgenutztem Karton, sondern ein schweres, goldbeschlagenes Kästchen aus rubinrotem Kristallglas.
    »Das einzige Erbstück meiner Mutter«, erwiderte er auf ihre Frage. »Wie ihre Mutter in seinen Besitz gekommen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Und angesichts der Familiengeschichte weiß ich auch nicht, wie sie es geschafft hat, das Kästchen zu behalten. Alle anderen Wertgegenstände sind wohl zum Auktionator oder ins Pfandhaus gewandert. Sie verwahrte darin den wenigen Schmuck, den sie besaß – größtenteils wertloses Zeug. Nun enthält es etwas viel Wertvolleres. Die Saat der Worte, die auf ihren Schöpfer warten. Die ganze Sprache ist hier versammelt, also das Leben selbst. Denn erst, wenn diese Saat ausgesät ist, beginnt die Welt.«
    Und er schüttelte das kristallene Gefäß, so daß die Elfenbeinplättchen klimperten und klapperten. Fast schien es, als würden

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