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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Vergnügen beobachtete er, wie Schatten des Zweifels Headingleys breites, offenes Gesicht umwölkten.
    »Tja, ich würde sagen, Sie schauen sich das besser mal an. Dieser Coroner gehört zu der überkorrekten Sorte«, entschied Headingley schließlich. »Aber vertun Sie nicht zu viel Zeit damit. Ich möchte morgen früh einen ausführlichen Bericht auf meinem Schreibtisch sehen. Das ist die Feuerprobe für jede Theorie, mein Junge, wieviel man davon wirklich zu Papier bringen will.«
    »Ja, Sir. Danke, Sir«, sagte Bowler, der sich offenen Spott gerade noch verkneifen konnte. Headingley mochte ein alter Knacker sein, der geruhsam auf die Rente zusteuerte und nur noch darauf aus war, sich alle Schwierigkeiten vom Hals zu halten, aber er war immer noch sein Vorgesetzter. Und außerdem hatte er viele Jahre unter den Argusaugen von Andy Dalziel überlebt, also war er bestimmt nicht ganz ohne.
    Hat ging an seinen Schreibtisch, holte sich die Namen und Adressen, die er brauchte, und machte sich auf die Suche. Er hatte jetzt zwei Gründe, akribisch vorzugehen – erstens, um Rye Pomona zu beeindrucken, zweitens, um George Headingley zufriedenzustellen. Nicht, daß er solche Gründe gebraucht hätte, um sich zu motivieren. Denn eines hatte er als junger, frisch von der Uni gekommener Detective rasch gelernt: daß man mit akribischer Gründlichkeit vorgehen mußte, damit nicht ein Bulle alter Schule, der sich mühsamst hochgearbeitet hatte, den Kopf schüttelte und sagte: »Langsam, junger Mann, nur, weil du auf der Überholspur daherkommst, darfst du noch keine Kurven schneiden.«
    Zuerst nahm er sich Constable Dave Insole vor, der den Einsatzwagen zum Unfallort gesteuert hatte. Nachdem Bowler mit seiner umgänglichen Art den naheliegenden Verdacht ausgeräumt hatte, daß die Kriminaler an ihm herumkritteln wollten, zeigte sich Insole kooperativ. Seiner Ansicht nach war die wahrscheinlichste Erklärung, daß Ainstable haltgemacht hatte, um zu pinkeln, die Böschung hinuntergekraxelt, ausgerutscht und unten schließlich gestürzt war.
    »Sie haben in Ihrem Bericht Schürfspuren auf der Brüstung erwähnt«, sagte Bowler.
    »Das war meine Kollegin Maggie Laine«, erklärte Insole grinsend. »Die hat Ambitionen, zu euch überzulaufen. Immer auf der Suche nach Indizien. Nein, die Blase hat ihn gezwickt, er hat sich also beeilt, von der Straße wegzukommen, und da ist er ausgerutscht. Hätte er sich auf die Brüstung setzen oder darüberpinkeln wollen, dann hätte er doch auch direkt auf der Brücke geparkt, stimmt’s?«
    »Sein Werkzeugkasten stand doch an der Brüstung, oder?«
    »Ja, aber als wir dort ankamen, waren schon ein halbes Dutzend Landeier versammelt. Jeder von ihnen hätte ihn beiseite stellen können.«
    »Aber sie hätten ihn wohl kaum aus dem Wagen genommen«, meinte Hat. »Und wo war der genau abgestellt? Nicht direkt auf der Brücke, sagten Sie eben?«
    »Nein. Er hat davor gehalten, genau dort, wo er am besten die Böschung zum Bach hinunterklettern konnte«, erklärte Insole triumphierend.
    »Also genau dort, wo er gehalten hätte, wenn bereits ein Wagen auf der Brücke gestanden hätte?« erkundigte sich Bowler.
    »Ja, kann man so sagen, aber worauf wollen Sie hinaus?«
    »Da fragen Sie lieber Maggie«, lachte Bowler und ging zur Tür.
    Die Ainstables wohnten in einer Doppelhaushälfte aus den dreißiger Jahren am Nordrand der Stadt. Die korpulente Frau, die Bowler öffnete, erwies sich als Mrs. Ainstables Schwester, die aus Bradford gekommen war, um ihr Beistand zu leisten. Das erste, was Bowler auffiel, als er ins Wohnzimmer gebeten wurde, war das Aquarium mit den Tropenfischen, das auf einer Kommode stand. Das zweite war eine kleine blasse Frau, die mit untergeschlagenen Beinen auf einem großen Sofa saß. Für gewöhnlich läßt Kummer Menschen altern, aber in Agnes Ainstables Fall hatte er die erwachsene Frau in ein kränkliches Kind verwandelt, das die Tochter ihrer Schwester hätte sein können.
    Als sie zu sprechen anfing, begriff Bowler, warum der Coroner beschlossen hatte, die gerichtliche Untersuchung erst nach weiteren Nachforschungen abzuschließen. Ihre Einstellung war ganz einfach: Wenn etwas so Geringfügiges wie ein falscher Tritt sie zur Witwe machen konnte, dann wollte sie die näheren Umstände unzweideutig und in allen Einzelheiten erläutert haben. Ihre Forderungen entbehrten jeder vernünftigen Begründung, wurden aber mit einer Radikalität vorgebracht, die den unsensibelsten

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