Die rätselhaften Worte
Quietschen, das Dalziels Fettsteiß auf seinem Stuhl verursachte. »Sie sagten, es gäbe zwei Arten von Dialogen …«
»Genau. Die andere ist in eher feierlichem, geheimnisvollem Ton gehalten. Hier glaubt der Wordman, Rat, Hilfe und Anweisungen von einer Macht aus dem Jenseits zu empfangen, die möglicherweise der vertraute Gesprächspartner der ersten Dialogart sein könnte. Schließlich tritt der Wordman natürlich auch in ein Zwiegespräch mit uns, mit Ihnen also, die den Fall untersuchen, mit Mr. Urquhart und mir als Ihren Helfern sowie mit der Welt als Ganzer, die, so, wie die Dinge liegen, in einem weiteren Sinne seine Zuhörerschaft bildet.«
»Kann ich hier etwas hinzufügen?« sagte Urquhart. »Es ist dir vielleicht nicht aufgefallen, Pozzo, und ich hab’s auch bloß nachgeschlagen, aber dann hab’ ich’s eine Freundin nachprüfen lassen …«
»Eine Freundin?« unterbrach ihn Pascoe und kam dem Dicken damit wieder zuvor. »Sie haben die Dialoge doch hoffentlich niemandem gezeigt, den sie nichts angehen.«
»Machen Sie sich mal nicht ins Hemd«, erwiderte Urquhart. »Es war nur ein Häschen von der anglistischen Fakultät, mit der ich gelegentlich bumse und die nicht mehr weiß, als sie wissen muß. Die hat mir gesagt, es gibt da so ’ne Schwarte, die heißt ›Die Totengespräche‹. Hat vor langer Zeit ein gewisser Lukian geschrieben …«
»Lord Lukian?« warf Dalziel ein.
»Haha. Ein syrischer Rhetoriker aus dem zweiten Jahrhundert, der griechisch schrieb. Im achtzehnten Jahrhundert hat man in England dieses Zeug wieder ausgegraben, vor allem die Augustans, Pope, Swift und all diese spinnerten Klassiker haben sich dafür interessiert. Der größte Renner wurden Lord Lytteltons
Totendialoge
aus dem Jahre 1760. Achtundzwanzig Stück, darunter drei von einem Blaustrumpf namens Mrs. Montagu – die besten drei, meint meine kleine Freundin, aber sie ist vielleicht befangen. Im neunzehnten Jahrhundert gab’s auch noch ein paar, aber das Genre starb aus, bevor Queen Vicky das Zeitliche gesegnet hat.«
»Und wodurch zeichnete sich dieses Genre aus?« fragte Pascoe.
»Das sind Unterhaltungen in der Unterwelt zwischen den Schatten historischer und erfundener Figuren, gelegentlich stellten übernatürliche Wesen aus der Mythologie die Verbindung her. Ein paar habe ich mir angeschaut. Da gibt’s einen zwischen Merkur und einem englischen Duellanten und einem nordamerikanischen Wilden oder einen zwischen Sir Thomas More und dem Vikar von Bray. Normalerweise, wenn auch nicht immer, mit satirischer Stoßrichtung. Geschrieben wie Dramen: Name der Figur, dann, was sie oder er sagt, aber ohne Bühnenanweisungen oder Schilderung von Schauplätzen. Das sollte nur gelesen, nicht aufgeführt werden.«
»Aber wir haben hier keine Namen«, sagte Pascoe mit einem Blick auf seine Kopien der Dialoge.
»Wäre auch kaum zu erwarten, oder? Dann hätte die Sache ja keinen Reiz mehr. Ist vielleicht eine Sackgasse, aber es scheint, als würde der Wordman sich mit einem Toten unterhalten, und er scheut offenbar keine Mühe, die Population der Unterwelt zu vergrößern. Wollte es nur erwähnt haben. In eurem Geschäft dreht man doch jeden Stein um, damit einem kein kleiner Krabbelkäfer entgeht, hab’ ich recht?«
»Wir sind Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Doctor«, murmelte Pascoe, der sich Notizen gemacht hatte.
»O Gott«, ächzte Dalziel. »Wir sind noch nicht über das erste Wort hinaus, und schon brummt mir der Schädel.«
»Wenn wir vielleicht weitermachen könnten«, meinte Pascoe mit einem Blick auf die Uhr. »Ich weiß, Ihre Zeit ist kostbar, meine Herren.«
»Sehr gerne«, sagte Pottle und zündete sich eine weitere Zigarette an der glimmenden Kippe in seiner Hand an. »Nach dem Titel nun zur Illustration – oder soll ich sagen, zur Illumination? Ich habe gehört, Sie haben bereits die Meinung eines Experten über die stilistische Quelle eingeholt …«
»Sozusagen«, äußerte Pascoe vorsichtig. » DC Bowler, vielleicht können Sie das kurz zusammenfassen?«
Der völlig überrumpelte Bowler mußte erst einmal schlukken, bevor er antworten konnte.
»Also, Mr. Dee von der Bibliothek sagt, das erinnere ihn an keltische Handschriften aus dem Mittelalter. Er hat mir etwas gezeigt, das dem ähnelt, ich glaube, es war eine irische Bibel aus dem achten Jahrhundert …«
Ihm entging nicht, daß der Dicke die Augen geschlossen hatte und dafür den Mund zu einem Nilpferdgähnen öffnete, und er
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