Die rätselhaften Worte
Kriminalromanen gang und gäbe sind, kommen in der Welt eines kleinen Detective Constable doch nur sehr selten vor. Hier löste man die Fälle, indem man aufmerksam auf jede Kleinigkeit achtete, egal, wie stumpfsinnig das war oder wie oft man es schon durchgekaut hatte. Während Hat las, behielt er Wields Zeichnung im Auge. Nicht, daß er erwartete, etwas zu finden, was dieser vergessen hatte, vielmehr hoffte er ohne allzu großen Optimismus, einen Widerspruch zu entdecken. Etwas Derartiges fand er am ehesten noch in Ryes Aussage, die so klar und präzise war wie die eines Polizisten. Sie erwähnte nämlich, sie hätte ein paar Bibliotheksbesucher arbeiten sehen, als sie ihren Mantel aus der Bibliothek holte, aber niemanden, den sie kannte. Der Zeichnung zufolge mußten aber zwei Leute, die auf der Vernissage gewesen waren, ebenfalls zu diesem Zeitpunkt in der Bibliothek gewesen sein – Dick Dee und Charley Penn. Er wühlte in den Aussagen.
»Was gefunden?« fragte Wield, der auf leisen Sohlen hinter ihm aufgetaucht war.
»Ich weiß nicht … kann sein …«
Da war Dees Aussage. Er hatte die Vernissage ein paar Minuten vor Hat und Rye verlassen und war direkt in die Bibliothek gegangen. Bei seiner Ankunft hatte die Frau an der Aufsicht die Gelegenheit benutzt, zur Toilette zu gehen. Dee hatte am anderen Ende der Bibliothek etwas nachgeschlagen, als er beobachtete, wie Rye ihren Mantel aus dem Büro holte.
Also hatte er sie gesehen, sie aber nicht ihn.
Penn gab ebenfalls an, er sei direkt zur Bibliothek gegangen und habe sich an seinen Stammplatz in einer der Nischen gesetzt.
Wenn man mit dem Gesicht zur Wand sitzt,
hatte er geschrieben,
sieht man für gewöhnlich nicht viele Leute.
Später jedoch, als er zur Toilette gegangen sei
(nicht zur fraglichen, sondern zur Personaltoilette, zu der ich durch eine Art Meistbegünstigungsklausel die Zutrittsberechtigung genieße),
habe er Dee bemerkt. Sie gaben sich also gegenseitig ein Alibi.
»Nein, Entschuldigung. Sehen Sie, ich versuche nicht, Ihnen Fehler nachzuweisen, Sarge …«
»So? Jammerschade. Ein Constable, der nicht versucht, seinem Sergeant Fehler nachzuweisen, taugt nichts. Aber vergessen Sie darüber nicht die Uhr. In zehn Minuten. Einmal zu spät bei Mr. Dalziel, und Sie verpassen vielleicht den Rest Ihres Lebens.«
Hat ließ die Aussagen liegen und verbrachte den Rest der Zeit damit, einige Namen in den Computer einzugeben. Das war wie Goldwaschen in einem ausgelaugten Claim. Kiesel, Kiesel, nichts als Kiesel.
Da sah er auf einmal, wie ein Butterblümchen, das aus einem Kuhfladen blüht, ein kleines Goldklümpchen schimmern.
Er zog es heraus, wog es in der Hand, sah, daß es ihn nicht reich machen würde. Aber wenn man es sauber bearbeitete, konnte es ein elegantes Glied in einer Kette werden. Ein Blick auf die Armbanduhr. Noch fünf Minuten.
Wahrscheinlich mehr. Akademiker waren bekanntlich unpünktlich.
Er griff zum Telefon.
[home]
Achtzehn
S eht mal, wer da kommt«, sagte Andy Dalziel. »Komm rein, Junge. Fühl dich wie zu Hause. Nimm dir einen Stuhl. Schön, daß du Zeit für uns hast.«
Die Akademiker, unzuverlässig wie immer, waren offenbar pünktlich gekommen.
Hat stammelte entschuldigende Worte und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Gäste, um sich nicht Dalziels wütendem Blick und Pascoes vorwurfsvoller Miene aussetzen zu müssen. Selbst auf Wields undurchdringlichem Gesicht stand zu lesen:
Ich habe dich gewarnt.
Dr. Pottle, der Psychiater, war ein kleiner, nicht mehr junger Mann, der mit Bedacht seine natürliche Ähnlichkeit mit Einstein pflegte. »Den Patienten gibt das ein Gefühl von Sicherheit«, hatte er einmal Peter Pascoe erklärt, der inoffiziell und in unregelmäßigen Abständen einer dieser Patienten war. »Und den völlig Durchgeknallten erzähle ich gern, daß ich mit meiner Zeitmaschine in die Zukunft gereist bin und sich alles in ihrem Leben zum Guten wenden wird.«
»Und wie sieht’s bei mir aus, Professor?« hatte sich Pascoe erkundigt.
Eine weitere Eigenheit von Pottle war, daß er trotz des gewaltigen Drucks, den die Gesellschaft, die Medizin und die Politik entfalteten, Kettenraucher war und blieb. Dalziel, der zeitweise rauchte und es dann wieder bleiben ließ, befand sich zwar gerade in einer ausgedehnten Nichtraucherphase, fügte sich aber in das Unvermeidliche und griff sich eine Handvoll von Pottles Glimmstengeln. An dem ersten sog er wie ein ertrinkender Matrose, der zum dritten Mal
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