Die Rättin
doch, sagte sie, in der Nacht auf Palmsonntag zweiundvierzig, als Lübecks Marienkirche von innen nach außen brannte, das Kupferblau im Obergaden wie auch im Chor oxidieren und einschwärzen müssen.
Als Fey die Studentin abermals erwischte, wie sie zu Malskat hoch wollte, um dort vom Kupferblau Farbproben zu nehmen, drohte er ihr mit Kirchenverbot. So einsam wurde der erfindungsreiche Maler in dreißig Metern Höhe gehalten. Wenig später gelang es Fräulein Kolbe, so hieß die Studentin, ihr Mißtrauen zu überwinden: sie begeisterte sich am Lübecker Wunder, wenngleich sie in ihrer Doktorarbeit die Einmaligkeit der Wandmalerei im Hochchor immer wieder unglaublich nannte. So sehr sie suchte: es ließ sich keine Ähnlichkeit mit dem im norddeutschen Raum üblichen Knitterstil beweisen. Sie blieb verblüfft wegen der romanischen Elemente besonders im dritten Joch und kam zum Schluß: im Hochchor sei insgesamt der Einfluß von Chartres und Le Mans zu spüren. Der Chormeister zu Lübeck müsse Frankreich bereist, werde dort gelernt haben.
Nun ließe sich viel über Malskats Vorleben und seine Bildungsreisen gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts spekulieren; feststeht, daß er hoch oben im Gerüst der Gegenwart enthoben war und eine Freiheit gewann, die ihm beim Setzen der Konturen gotische Empfindungen erlaubte, die seinen einundzwanzig Heiligen im Hochchor und mehr als fünfzig Heiligen im Obergaden des Langhauses nach und nach zu zwingendem Ausdruck verhalfen. Nichts wog die Zeit. Nur ein Sprung und ein Moment inbrünstiger Rückbesinnung war ihm die Spanne von siebenhundert Jahren.
Zu Recht haben die einerseits getäuschten, andererseits scharfsinnigen Kunsthistoriker damals festgestellt, daß sich die Wandmalereien in Schleswigs Dom wie Vorstudien zur Ausmalung der Lübecker Marienkirche ansehen lassen. Trotz Kriegsund Soldatenzeit war Malskat Malskat geblieben, gereifter vielleicht und noch konsequenter rückbezogen; denn wenn ich jetzt sage, das Mittelalter war seine Zeit, sehe ich ihn leibhaftig vor siebenhundert Jahren hoch im Gerüst: die verfilzte Wollmütze über beide Ohren gezogen.
Er wird nach dem Niedergang des Stauferreiches, während wirrer und rechtloser Jahre, bis ins Greisenalter kurz vorm Auftritt der Pest in vielen Kirchen und Heiliggeisthospitälern tätig gewesen sein; überall hinterließ seine Werkstatt Spuren. Deshalb dürfen wir davon ausgehen, daß auch die sechsundfünfzig Heiligen im Langhaus-Obergaden der Marienkirche von ihm sind. Wenngleich Jahrzehnte zwischen der frühen Secco-Malerei im Chor und der späteren, in Rot, Blau, Grün Ockergelb und Schwarz gefertigten Arbeit im Mittelschiff liegen, ist allen übers Menschenelend hinwegblickenden Heiligen in ihrem Faltenwurf die Pinselführung des Chormeisters abzulesen.
Und alles »alla prima«, aus freier Hand gemalt. Nur wenige Anhaltspunkte gaben Musterbücher, die das Ikonografische betrafen. Wenn im Prozeß später das Buch eines gewissen Bernath, »Die Malerei des Mittelalters«, als Malskats Quelle erkannt wurde, bestätigt dieser Hinweis nur die frühen romanischen byzantinischen, ja, auf der rechten Stirnwand Süd des Chorpolygons sogar koptischen Einflüsse. Was der Chorund Langhausmeister vor siebenhundert Jahren gemalt hat, gelang Malskat später aufs neue. So überbrückte er Jahrhunderte, so wurde durch ihn des letzten Krieges zerstörende Wut zunichte, so triumphierte er über die Zeit.
Nun gut, ich kenne die Einwände der Herren Scheper und Grundmann: hier soll der Christus der Sophienkirche in Konstantinopel, dort eine thronende Maria aus dem Dom zu Triest anregend gewesen sein. Glühproben der verschiedenen Farbpigmente, Schichtschnitte von Mörtelteilen, chemische, mikroskopische Untersuchungen wurden gemacht. Obendrein Malskats Geständnis: Die Drahtbürste! Der Konturen und Farbflächen zerkratzende Scherben. Das gekonnte Nachaltern. Der Puderbeutel!
Dazu ist zu sagen: Fey, sein Arbeitgeber verlangte von ihm dieses Glaubwürdigmachen vergehender, spurengrabender Zeit. Nichts Neues, das Alte wollte man wiederhaben, wenn auch ein wenig beschädigt. Malskats Talent erlaubte diese Zugaben. Schließlich hat der spätere Meister des Hochchors
-doch wohl des Langhauses auch in den Jahren vor der Währungsreform Bilder nach Chagall und Picasso gemalt, die über Fey, der gleich nach fünfundvierzig sein Arbeitgeber wurde, in den Kunsthandel kamen. So hielt man sich über Wasser.
Aber mit dem neuen Geld, das die nichtsnutze
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