Die Rättin
und Meeren zusetzte, was alles er der Luft beizumengen bereit war, wie tatenlos klagend er seine Wälder bergab sterben ließ. Als Ratten, denen Leben und Überleben eins ist, konnten wir nur vermuten, daß den Humanen das Leben nicht mehr schmeckte. Sie hatten es satt. Es reichte ihnen. Sie gaben sich auf und taten nur noch affig als ob. Über die Zukunft, ihre in früheren Zeiten so phantastisch möblierte Zimmerflucht, machten sie Witze, hingegen war ihnen das Nichts etwas, auf das zu starren sich lohnte. Jeder Tat und sie blieben ja wie gewohnt tätig hing Sinnlosigkeit als Geruch an, eine Ausdünstung übrigens, die unsereins ekelte.
Und auch du, Freund, sagte die Rättin, warst fleißig beim Abschiednehmen. Man konnte das nachlesen; und wir lasen ja sprichwörtlich viel. Ach, was sich alles auf Endzeit reimte! Wie wohltönend ihnen aller Tage Abend gewiß war. Mit letztem Ehrgeiz wurde das große Finale als Wettkampf betrieben, komischer noch: Hingerissen vom Ende, veräußerten sich viele Künstler so restlos, als wäre ihnen, wie seit altersher, der Lorbeer immergrün, Unsterblichkeit sicher gewesen. Mir war, als gedächte die Rättin unser gerührt und mit Wehmut. Doch dann kam sie wieder zur Sache. Hör zu: Eine weitere Spielart des Untergangs wurde vom Menschengeschlecht als Übervölkerung ausgetragen. Besonders dort wo sie arm waren, legten die Menschen Wert darauf, immer mehr zu werden, als wollten sie Armut durch Kindersegen aufheben; ihr letzter Papst war ein reisender Fürsprecher dieser Methode. So wurde der Hungertod gottgefällig und schrieb sich nicht nur statistisch fort. Sie fraßen einander das knappe Futter weg. Warum, rief die Rättin, wurden die Menschen nicht satt, wenn es uns Ratten doch reichte? Weil sich Überfluß hier aus Mangel anderswo speiste. Weil sie, um Preise zu halten, Angebote verknappten. Weil ein geringer Teil des Menschengeschlechts vom Hunger des Großteils lebte. Sie aber sagten: Weil wir zu viele sind, wird gehungert.
Lächerlich diese Rechnung. Futze Chissoresch! Ihre verfluchte Mangelwirtschaft. Wie wir ohne Mühe satt wurden und dennoch weltweit Milliarden zählten, hätte die annähernd gleichgroße Humanpopulation zum Zeitpunkt des Großen Knalls durchaus gesättigt sein können, es lag ja genug auf Lager. Mehr noch: gerne hätten wir den humanen Wachstumsprognosen entsprochen und mit ihnen das Jahr zweitausend als sechs, wenn nicht sieben Milliarden Ratten erlebt, jegliche Gattung zufrieden und satt.
Nachdem sie meinen Traum mit statistischen Daten überfüllt hatte, sagte die Rättin: Daraus ist leider nichts geworden. Der Entschluß der Menschen, sich nicht zu Tode zu hungern, nicht von Giften übersättigt zu krepieren, auch nicht hungrig und vergiftet, bei immer knapperem Wasser, den langsamen Dursttod, vielmehr das plötzliche Ende zu suchen, dieser selbstsüchtige und kindisch ungeduldige Entschluß bereitet uns Ratten zuvor nicht ausreichend bedachte Probleme: wir werden uns ändern müssen. Die posthumane Zeit verlangt uns neues Verhalten ab. Uns mangelt ein Gegenüber. Ohne das Menschengeschlecht und seine Ernten, Vorräte, Abfälle, Ekelgefühle und Vertilgungssüchte sind wir Ratten zukünftig ganz auf uns gestellt. Zugegeben: es fiel leicht, allzu leicht, in seinem Schatten zu leben; nun fehlt uns der Mensch...
Da sie weiterhin jammerte, rief ich: Aber es gibt doch hier und dort neutronisierte Städte. Mit Hilfe von Schonbomben haben wir äußerlich heile Refugien geschaffen. Ein Kulturabkommen zu euren Gunsten war vorletztes Menschenwerk. Ich bitte dich, Rättin: sind wir nicht kürzlich noch durch menschenfreie Gassen gelaufen? Und hatten wir beide nicht Freude an den zwar rußgeschwärzten, doch schön gebliebenen Giebeln, Türmen, Torbögen, an Sehenswürdigkeiten, anheimelnd vertraut? Vergeblicher Trost. Die Rättin, von der mir träumt, wollte nicht aufhören mit dem Jammern. Nicht mehr in ihren Fluchtbauten vergraben, nicht mehr in Danzigs Gassen sah ich sie laufen, im Müll behaust fand ich sie. Hier erzählte sie mir aus zerknautschtem Schrott heraus von plötzlichen, dem Rattengeschlecht noch immer verderblichen Staubstürmen, dort wohnte sie in Schutz gewährenden Plastikfolien, die, durch Winde bewegt, als immer gefüllte Segel mit meiner Rättin wanderten. Immer wieder: der Große Knall. Immer wieder: die Einsamkeit danach. Und immer wieder und noch einmal: wie sehr den Ratten der Mensch fehle.
Aber ich bin doch da! rief ich. In meiner
Weitere Kostenlose Bücher