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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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her angereist ist, einen Dolmetscher, der ihm alle kaschubischen Artigkeiten seiner Verwandten in jenes Deutsch bringt, das im Ruhrgebiet gesprochen wird. Mit Herrn und Frau Bruns, die von Hongkong her den Weg in die Kaschubei fanden und dem Vorfest eine exotische Note geben, plaudert unser Herr Matzerath recht flüssig auf englisch, desgleichen mit den australischen Vikings und den Colchics vom Michigansee, die ihn später, wie auch Kasimir Kurbiella aus Mombasa am Indischen Ozean, in der überfüllten Guten Stube umarmen und etwas zu lärmig begrüßen werden.
Doch noch steht er unterm Kastanienbaum und nennt Missis Bruns eine Lady, auf daß bald alle von »Lady Bruns« sprechen, als sei sie von chinesischem Adel.
Er futtert Mohnkuchen und schlägt ein Gläschen Kartoffelschnaps nicht aus. Vor dem niedrigen Haus findet sich auf langem Tisch, was die Kaschuben selbst in mageren Jahren zu bieten haben: saure Pilze und hartgekochte Eier mit Schnittlauch übergrünt, gekümmelten Krautsalat und Schüsseln voller Schweinekopfsülze, Radieschen, Dillund Senfgurken, Streusel-, Mohn-, Quarkkuchen, in daumendicke Stücke geschnittene Wurst, Grießund Vanillepudding. Dazu noch Griebenschmalz, Apfelmus und hackfleischgefüllte Piroggen, die jener Priester aus Matarnia unserem Herrn Matzerath anbietet, der die vielen einladenden Postkarten geschrieben und in alle Welt geschickt hat.
Der Schwarzrock stellt ihm weitere Verwandte vor, unter ihnen zwei junge Männer mit zeitgemäßem Schnauzbart, die auf der Leninwerft arbeiten und so auffallend blauäugig sind, daß Oskar nicht erstaunt ist, mit Stephan Bronskis Söhnen zu sprechen. »Unverkennbar«, sagt er, »euer lieber Großvater, mein Onkel Jan, der meiner armen Mama so innig verbunden war, will mich anschauen, wie er mich oft, als hätte er ein Geheimnis wahren und dennoch preisgeben wollen, angeschaut hat.« Die Bronskisöhne müssen sich beugen, damit sie ihr Onkel umarmen kann. Hingegen wirkt die Begrüßung mit dem Vater der beiden Werftarbeiter, obgleich der Priester nicht dolmetsehen muß, ein wenig steif. Mutmaßlich einander näher verwandt, als man sich eingestehen möchte, sind beide Herren etwa gleich alt. »So sieht man sich wieder«, sagt unser Herr Matzerath zu Stephan Bronski und hält auf Distanz.
Die vielen Verwandten! Außer Herzlichkeiten teilt man einander Krankheiten und deren Verlauf mit. Dann führt der Priester mit wegweisender Geste und den Worten: »Doch nun wollen wir uns in die Gute Stube wagen«, Oskar ins Haus, wo hinter engstehenden Gästen, die hastig trinken und lachend immer wieder einander begrüßen, seine Großmutter verborgen im Lehnstuhl am Fenster sitzt.
Seit einigen Stunden trägt sie am schwarzen Sonntagskleid ein weißrotes Ordensband, das ihr zwei Herren aus Warschau im Namen der Volksrepublik Polen überreicht und sogleich angesteckt haben. Einst stattlich, hat das Alter sie schrumpfen lassen und zierlich gemacht. Einem Winterapfel gleicht ihr Gesicht. Mit ihren Händen verwachsen scheint der Rosenkranz zu sein, den sie, wenngleich heiter dem Auftrieb der Gäste zugewendet, Perle nach Perle bewegt, als seien Gebete immer noch überschüssig.
Ach, denke ich bei mir, wie bange wird unserem bucklichten Männlein sein? Wie freudig oder ängstlich mag er dem Priester durch den dichtgefügten Block der Gäste folgen? Ist es nicht so, daß das Trinken, Lachen und Schulterschlagen aufhört, weil alle sehen wollen, wie sich unser Herr Matzerath seiner Großmutter nähert?
Blumengeschmückt ist der Lehnstuhl. Durchs Fenster schauen Sonnenblumen, die nach dem kühlen und regnerischen Frühsommer nicht besonders hoch stehen, aber doch leuchten und an Sonnenblumen erinnern, die vor vielen Jahren viel höher an Großmutters Gartenzaun standen.
Nur Mut, Oskar! rufe ich unserem Herrn Matzerath zu. Es stehen die beiden Regierungsbeamten links und ein Prälat aus Oliva, als Abgesandter des Bischofs, rechts vom blumengeschmückten Lehnstuhl. Zwischen Staat und Kirche sitzt Anna Koljaiczek und trägt das schwarze Sonntagskleid gewiß über weiteren Röcken. Nur Mut! Und schon schiebt der Priester aus Matarnia das bucklicht Männlein in die so lange ersehnte, aber vorweg auch bänglich bedachte Position. Ich will ihm beistehen und schlage durch Zuruf Kniefall vor.
Aber unser Herr Matzerath behält Haltung. Er beugt sich über die den Rosenkranz bewegenden Hände, küßt die eine die andere Hand, sagt in das Schweigen der dichtstehenden Gäste

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