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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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trennen. Der soeben noch gutmütige Riese verfinstert sich. Er packt und hebt Dornröschen mit einer Hand, ist nicht mehr Hausknecht, sondern herrischer Geist aus dem Riesengebirge. Der erste, sechste und siebte Zwerg halten den weinenden Prinzen. Mit der Spindel läuft der vierte Zwerg schnellfüßig Rübezahl hinterdrein, der das bereits wieder schlafende Dornröschen in Richtung Tatort entführt.
Von Schneewittchen will sich der Prinz nicht trösten lassen. Auch von Rotkäppchen, das aus dem hohlen Baum springt, will er nichts wissen. Die abgehauenen Hände des Mädchens streicheln den traurigen Lockenkopf, dessen Kußmund verzweifelt Luftküsse verteilt. Wie von Sinnen ist er. Erst Rapunzel gelingt es, mit langem Haar den Prinzen von seinem Leid abzulenken.
»Den Spiegel bitte!« ruft die Böse Stiefmutter, worauf die abgehauenen Hände den Zauberspiegel aus dem alten Ford holen und auf einen Baumstumpf stellen. Sobald sich die Märchengestalten, mit Hänsel und Gretel in der Mitte, vor dem Spiegel versammelt haben und gruppiert sind, als wollte eine Großfamilie, weil Dienstag ist, Dallas sehen, schaltet die Böse Stiefmutter ihr wundersames Fernsehen ein. (Wie unser Herr Matzerath noch kürzlich sagte: »Keines der allerneuesten Medien, das nicht im Märchen seinen Ursprung hätte.«) Zuerst sieht man Rübezahl mit dem schlafenden Dornröschen beladen durch toten Wald stapfen. Unermüdlich läuft mit der Spindel der vierte Zwerg hinterdrein.
Dann sieht man Rotkäppchens Großmutter, die noch immer dem Wolf aus Grimms Wörterbuch, Band eins, vorliest. Und jetzt kommt die Wagenkolonne des Kanzlers mit Ministern und Experten ins Bild. Noch ist sie, hinter Blaulicht und von Polizisten auf Motorrädern flankiert, auf der Autobahn unterwegs.
Abermals schaltet die Böse Stiefmutter um: Der Zwerg mit der Spindel folgt Rübezahl, der das schlafende Dornröschen in einer Turmruine treppauf trägt, bis hoch zur Turmkammer, der das Dach fehlt. Plötzlich kommen die abgehauenen Hände ins Bild. Sie putzen die Turmkammer, während Rübezahl das Dornröschen behutsam an einen Steintisch setzt; der Zwerg legt die Spindel in den Schoß der schlafenden Schönen. Vor dem Zauberspiegel wird der Fleiß des Mädchens ohne Hände gelobt. Der Prinz, der durch Rapunzels Haare hindurch alles gesehen hat, jammert. Er will fort und sein Dornröschen wie gewohnt wachküssen. Aber die Zwerge halten ihn, so sehr er zappelt. Abermals verhängt ihn Rapunzel. Nachdem der Zauberspiegel wiederum die Großmutter gezeigt hat, wie sie noch immer dem Wolf vorliest, zeigt er jetzt des Kanzlers Wagenkolonne, die in den heilen Wald einbiegt. Blaulicht voran, kommt sie näher und näher. Auf ein Zeichen der Hexe verstecken sich alle Märchengestalten. Den alten Ford schieben die Zwerge ins Gebüsch. Einzig Hänsel und Gretel bleiben zurück, als seien sie ausgestoßen und gottverlassen allein. So stellen sie sich wartend auf den neuen falschen Weg.
Jetzt kommt aus der Tiefe des Waldes hinterm Blaulicht die Wagenkolonne des Kanzlers. Hänsel und Gretel winken und rufen: »Hier, Papa! Hier sind wir, hier!« Sie laufen rufend den falschen Weg lang. Der Kanzler und Papa folgt ihnen in Richtung Tatort, bis der soeben noch heile Wald immer kränklicher, sumpfiger, unwegsam wird. Über Sprechfunkgeräte hört man Piepen, Pfeiftöne, Befehlsdurchsagen: »Kanzlerkinder verfolgen!« »Ausschwärmen, einkreisen!«
Die schwarzen Automobile bleiben stecken, müssen von allen Insassen verlassen werden und versinken, eins nach dem anderen, in blubberndem Morast, schließlich auch das Automobil des Kanzlers, dessen Mercedesstern bis zum Schluß glänzt.
Ungeordnet irren der Kanzler und seine Experten und Minister, unter ihnen die Grimmbrüder durch toten Wald. Mit entsicherten Maschinenpistolen sind Polizisten bemüht, die ihnen aufgetragene Sicherheit aufrechtzuerhalten. Unter der Last ihrer Apparate stöhnen die Leute vom Fernsehen, filmen aber gleichwohl das Durcheinander.
Der Kanzler ruft: »Kinder, wo seid ihr? Wo seid ihr denn, Kinder?«
Die Experten streiten über die Richtung. Die Polizisten erschrecken sich gegenseitig. Die Grimmbrüder helfen einander aus dem Morast. Der Kanzler ruft. Das Fernsehen hält drauf. Sieben Raben in toten Bäumen. Hänsel und Gretel locken den hilflosen Haufen immer tiefer in den abgestorbenen Wald. Sie rufen: »Hier gehts lang, Papa, hier!«
Auf Vorschlag unseres Herrn Matzerath, der immer auf Nebenhandlungen bedacht ist, finden

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