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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Bronskis Söhne sind, was der Film vorbedacht hat, mit einer Drallen, deren Dauerwellen sich küstenblond kringeln, und einem zierlichen Püppchen, das dunkelbraun aus der Art schlägt, seit Jahren verlobt. »Na jiebt Wohnung jenug nech!« bestätigt der Filmton synchron, während dem gesamten Geschehen mal gedämpft, mal zum Tanz herausfordernd Polkaklänge unterlegt sind.
Einzig die Musik ist neu; alles andere war zuvor. Wie vor dem Haus, so in der Guten Stube: Getränke und Appetithäppchen, was nach mehr schmeckt, Saures und Süßes hat man schon mal geschluckt, gekaut, verdaut. Vorgeschmeckt wurden Sülze und Streuselkuchen, Gurken und Pudding. Im Gesang fanden sich etliche Gäste, lange bevor sie in Wirklichkeit zu singen begannen, auf daß Fröhlichkeit herrschte. »Waldeslust, Waldeslust«, haben die älteren Kaschuben für den Film und Oskar Ehren auf deutsch gesungen, um im späteren Leben abermals das Lied von der Waldeslust anzustimmen. Sogar der Streit der Werftarbeiter mit den Vertretern des Staates Polen um die Rechtmäßigkeit der Gewerkschaft »Solidarno[« ist gestenreich vorweggenommen worden und läuft nun im Originalton noch einmal ab: Kasy Kurbiella aus Mombasa einerseits, Herr Stomma aus Gelsenkirchen und Stephan Bronski, die auf deutsch und auf polnisch »Ordnung muß sein!« rufen, mischen sich andererseits in den Streit, bis der Prälat Polens Widersprüche beschwichtigt; die Werftarbeiter lachen aus trockenem Hals, sobald Hochwürden beiderseits segnend das arbeitende Volk und die Vertreter des Staates zu friedfertigen Gotteskindern macht.
An dieser Stelle ruft Stephan Bronski über den Filmton hinweg: »Wie häst daas jemacht blos, Oskar, nu sag!« Und unser Herr Matzerath sagt leichthin: »Nicht wahr, Hochwürden, früher nannte man es göttliche Vorsehung, heute sind es winzige Mikroprozessoren, die alles speichern, was war, und ausspucken, was sein wird. Der Rest ist mediales Handwerk. Ein Kinderspiel!«
Und wie er erklärend weiterhin sagt, alles was vorstellbar sei, könne auch hergestellt werden, kommt Oskar persönlich ins Bild. Im Film wie in Großmutters Guter Stube, in der der hellsichtige Film läuft, wird er lauthals begrüßt. Zum zweitenmal sehen die Gäste staunend, was alles der Herr Matzerath aus dem Westen mitgebracht hat. Sie sehen, wie sich Anna Koljaiczek im geschmückten Lehnstuhl über den Baumkuchen und die Dukaten, mehr noch über das bucklichte Männlein freut.
    »Oskarchen!« ruft sie und freut sich abermals.
Über den laufenden Film hinweg hören wir sie in Wirklichkeit sagen: »So, Oskarchen, hab ech miä Jeburtstag vorjestellt immä«, während sie im Film angesichts der Dukaten sagt, was sie sagte, als sie einen Gulden aus König Sigismund Augusts Zeiten in der Hand wog: »Ond mecht alles aus Gold sain?« Wie jubeln die Kaschubenkinder, sobald das Säckchen mit den geschenkten Schlümpfen ins Bild kommt. Und wie sie sich im Film auf dieselbe Weise spielen sehen, wie sie soeben noch, bevor die Kuckucksuhr halb zwölf rief, mit den Schlümpfen spielten, glauben die Kinder, der Film spiele naturgetreu nach, was sie ihm vorgespielt haben.
Und wie sie sich freuen können! Jetzt kommt ihr neues Spielzeug in Großaufnahmen ins Bild: der Schlumpf mit dem verkehrsregelnden Stopzeichen. Mehrere Schlümpfe mit Maurerkellen. Auch der mit der Sense steht nun zu siebt mit anderen Schnittern. Vor allen musizierenden Schlümpfen wird jener mit der weißroten Trommel besonders hervorgehoben. »Oskar! Oskar!« rufen vor dem Bildschirm die Kaschubenkinder und wissen Bescheid. Wer genau hinsieht, bemerkt, daß alle Schlümpfe, auch der mit der Trommel, nur vier Finger haben: den Daumen und drei dazu. Man möchte wissen warum. Doch selbst Onkel Bruns aus Hongkong, der Millionen allerliebste Schlümpfe produzieren und mit dem Gütestempel seiner fleißigen Stadt prägen ließ, weiß im Film wie in Wirklichkeit keine Antwort.
Überflüssig zu sagen, daß jene Schnappschüsse, die vor einer knappen Stunde mit Herrn Matzeraths geschenkter Polaroidkamera geschossen wurden, schon zur Zeit der Filmproduktion ihre Motive fanden, darunter jenes, das die Vertreter von Polens Staat und Kirche links und rechts von Anna Koljaiczeks Lehnstuhl zeigt; und jenes, das die Arbeiterdelegation von der Leninwerft um Kasimir Kurbiella gruppiert, der den geschmiedeten Schriftzug »Solidarno[« wie eine Reliquie hält. »Sag ech ja immä!« ruft fröhlich Anna Koljaiczek, »da mecht nuscht Neies nich

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