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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Schiffes, das Steuerhaus, der Mast, die Entlüfter vergangen. Nur der strahlende Rumpf bleibt. Wäre das Schiff nicht, als es noch »Dora« heißen und die Elbe mit Lasten befahren sollte, aus Eisen gebaut worden, hätte es gleichfalls vergehen müssen.
»Die Neue Ilsebill« mit der Farbe hat sie ihren Namen verloren treibt nun, von beiden Ankern gerissen, als Wrack in östliche Richtung.
Ultemosch!
Die vielen Rechnungen nicht beglichen
und Aktenzeichen ungelöst.
Heiraten hätten geschlossen, Scheidungen
sollten vollzogen werden, Gütertrennungen auch. Um den restlichen Urlaub gebracht.
Bevor nach dem Braten, weil es am Sonntag geschah, Pudding dottergelb auf den Tisch kam.
Mitten im Satz, Schwur, Fluch und Gebet,
gleich nach dem Doppelpunkt,
Witze, vor der Pointe gekappt.
Was ich noch hätte sagen wollen...
    So viel verdorbener Spaß.
Wo überall des Fleisches Lust kurz vorm Jetztjetzt auf immer verging.
Der Grand ohne Vier geschmissen
oder ein Sonntagnachmittagsschläfchen, das sozusagen kein Ende fand.
Was sonst noch ausblieb: mehrmals verschobene Klassentreffen, die nächste Sitzung, Geburtstage, der Lohnsteuerausgleich, die ersten Zähnchen, das Wetter von morgen,
Gegenbesuche und Rückspiele,
Erbschaften, der bänglich erwartete Laborbefund, Fälligkeiten, die Post.
Ach, und der lange versprochene Einkaufsbummel.
    Wir hätten gerne demnächst die Tapete gewechselt. Gerne wären wir, wie früher häufiger, zu zweit ins Theater, danach beim Italiener gut essen gegangen. Unter gewissen Bedingungen hätten wir gerne noch einmal von vorne
und uns dies und das noch gegönnt.
Ferien auf dem Ponyhof hatten wir den Kindern, uns aber wechselseitig mehr Rücksicht versprochen. Auf Zweitwagen, Grimms Wörterbuch
und eine komplette Campingausrüstung wurde gespart. Unser Plan hieß: endlich mal ausspannen
und Schluß mit dem Immerhöherundhöherhinaus. Wir hätten noch gerne...
    Natürlich hörten die vielen Kleinkriege und der Hunger und mit dem Kapitalismus der Sozialismus,
mit gut auch böse und mit der Liebe der Haß auf. Ganz neue Ideen nicht zu Ende gedacht.
Einfach abgebrochen die Schulreform.
Ohne Antwort die Frage nach Gott und so weiter. Mag sein, daß einige Leute mit sich zufrieden waren, dennoch blieben Wünsche, große und kleine offen. Und auch der Goldpreis fiel, um nie wieder... Weil.
An einem Sonntag.
Ultemosch.
    Nur wenige Minuten später, und fünf Minuten, nachdem die Schwarzwälder Kuckucksuhr neben dem Herz-Jesu-Bild zwölfmal Kuckuck gerufen hatte, gehen annähernd gleichzeitig denn die Endprogramme laufen Schlag auf Schlag ab im Süden und Norden, im Westen und Osten, also auch über Gdynia und GdaDsk, dort eine normale Atombombe, hier vier oder fünf die Bausubstanz schonende Neutronenbomben nieder, wie in jenem weltweit gültigen Kulturabkommen vorgesehen, das von der polnischen Regierung gerade noch rechtzeitig ratifiziert wurde.
Zwar entfernt von beiden städtischen Zielzentren, doch nicht entfernt genug, liegt Matarnia, ein Dorf, an dessen Rand Anna Koljaiczek im Kreis ihrer Gäste ihren hundertundsiebten Geburtstag feiert, im Lehnstuhl sitzt und den Rosenkranz bewegt. Bis dahin sahen sie und ihre Gäste einen Videofilm aus der Post-Futurum-Produktion ihres Enkelsohns. Von wenigen Ungenauigkeiten abgesehen die vorzeitige Abreise der Regierungsbeamten aus Warschau, vier Pfingstrosen zuviel schmückten den Lehnstuhl -, eine gelungene Vorführung, die allen Gästen naheging, zumal der Prälat aus Oliva die göttliche Vorsehung und Gottes Allmacht durch das neue Medium letztlich bestätigt sah.
Doch wie sie noch feiern und sich auf dem Bildschirm als feiernde Gäste sehen, zerreißen Blitze wie anderswo in der Welt, so auch in der Kaschubei den Himmel, worauf die Gäste ins Freie drängen, wo sie alle, die einen schnell und gnädig, die anderen elend vergehen, krepieren, entsaftet schrumpfen; denn der Raum Matarnia, Firoga, Zukowo, Kartuzy, in dem wo früher Bysewo lag seit Jahren Flugpisten betoniert liegen, ist von zwei Vernichtungssystemen, der Hitzeund Druckwelle und dem radioaktiven Fallout sowie von beschleunigten Neutronenund Gammastrahlen betroffen.
Dem Häuschen wird der Stall samt Küche und Schlafzimmer abgerissen. Den restlichen Fenstern zerstäuben die Scheiben. Abgedeckt ist das Dach. Der alte Kastanienbaum, alle Apfelbäume gehen in Flammen auf, wie auch die Wälder nördlich Matarnia, die zum großen Wald gehören, der über Hügeln bis an die See reicht, brennen, als seien sie

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