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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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einzig dafür gewachsen.
Etliche vor dem Gartentor geparkte Autos entzündet die Hitze, wirft die Druckwelle zu Schrott, und andere, darunter die schwere Limousine des Prälaten und der Mercedes unseres Herrn Matzerath, brennen unbewegt.
Zuerst sieht es so aus, als habe im vorhin noch blumengeschmückten Lehnstuhl einzig Anna Koljaiczek das Ende überlebt, erblindet zwar, doch bei Atem; es liegt aber ihr Enkelkind unterm Schutt und rührt sich. Als alle Gäste ins Freie liefen und sogar der Chauffeur Bruno dem Sog folgte, blieb Oskar zurück. Geschützt von den vier Wänden der Guten Stube und ausgespart durch meinen Willen, den ich gegen die Rättin und ihr Diktat setze, bleiben die beiden übrig.
Und die Mattscheibe bleibt belebt. Auf ihr sind, was Anna Koljaiczek nun nicht mehr sieht, noch immer Geburtstagsgäste versammelt, denn der Videofilm unseres Herrn Matzerath, der alles, nur dieses Ende nicht vorweggewußt hat, will nicht aufhören, unterhaltsam zu sein. Noch einmal Lady Bruns zwischen Stephan Bronskis Söhnen, noch einmal gesalbt der Prälat . . . Endlich läuft die Kassette mit Polkaklängen aus und zeigt nach einer Großaufnahme des immer noch munteren Geburtstagskindes als letztes Bild die stehende Schrift: »Ende des hundertundsiebten Geburtstages der verehrungswürdigen Anna Koljaiczek, geborene Bronski.« Nur noch die Mattscheibe flimmert. Sobald die Batterien aufgeben, wird auch sie unbelebt sein.
Da Oskars Großmutter in ihrem Lehnstuhl die Gäste und Verwandten vermißt, ruft sie mehrmals: »Wo seid ihä denn alle jeblieben«, und kann nicht begreifen.
Auf dem Tisch, ihr danebengestellt, liegt das Porzellanpferd in Scherben. Der restliche Baumkuchen zermanscht. Ein Dachbalken traf den Elektrogrill. Die Kuckucksuhr von der Wand, verschüttet der Bronzekopf, zerbrochen das nackte Ebenholz, aber heil blieb Solidarno[, der schmiedeeiserne Schriftzug, blieb der Brieföffner samt Bernsteingriff. Und überall, auf dem Tisch und um den Lehnstuhl verstreut, liegen Golddukaten und niedliche Schlümpfe, unter ihnen der mit der Trommel. »Oskarchen«, ruft Anna Koljaiczek, »ech seh nuscht. Mechst miä nech sagen, wo hin bist?«
Auch er mag blind sein. Einzig Gerüche mögen ihn leiten. Man hat ihm den Ton genommen, aber er kriecht. Unterm Küchenschutt kriecht er hervor, mühsam auf allen vieren durch die Gute Stube auf den Lehnstuhl und die Oskarchen! rufende Großmutter zu. Merkwürdig, daß ihm seine goldgefaßte Brille geblieben ist. Die Krawattennadel fehlt. Mir will vorkommen, als sei unser Oskar, während es überall in der Welt und auch in der Kaschubei zu Ende ging, kürzer geworden, als schrumpfe er zusehends. Jetzt über Dachgebälk, jetzt ist er bei den niedlichen Schlümpfen, jetzt zu Füßen der Großmutter. So zielstrebig nimmt unser verkürzter Herr Matzerath Zuflucht unter den Röcken, als habe er diesen Ort zeitlebens gesucht.
Weg ist er, und ich bin ihn los. Nie wieder soll er. Keine Einsprüche seinerseits mehr. Er wird unter den Röcken ein Weilchen noch schrumpfen und beim Eintritt des Todes, wie es geschrieben steht, gänzlich entsaftet sein. Ob Anna Koljaiczek, die nicht mehr Oskarchen! ruft, sondern ihrem Rosenkränz nachbetet, Oskar wahrnimmt unter den Röcken?
    Kennt man schon, dieses Ende.
Wurde laufendes Bild, wie wir verdampfen, schrumpfend zur letzten Ekstase fähig.
    Das kann uns, die wir Staubstürme und Dauerfröste vorwegwissen, nicht überraschen. Gut informiert werden wir aufhören, gut informiert zu sein.
    Wir lächeln, wenn wir von Gruppen in Kanada, Neuseeland und in der Innerschweiz hören, die das Überleben trainieren.
    Hart gegen sich und andere.
Danach auf Fortsetzung bedacht.
Stehaufmännchen und -Weibchen natürlich.
    Es soll, nach Übereinkunft, in Europa beginnen, vernünftigerweise; das meiste begann ja hier und griff dann über global.
So geht aller Fortschritt von uns aus.
Ein wenig müde der historischen Last datieren wir aller Geschichte Ende.
    Das sagte vor Beginn seiner Reise nach Polen eindringlich unser Herr Matzerath; oder war es die Rättin, deren Predigt von der Kanzel herab den versammelten Rattenvölkern galt? Es sagte die Rättin: Findet zurück zum einzigen Glauben; oder er kommentierte einen aufklärenden Videofilm, indem er mit Zeitangabe fünf Minuten vor zwölf die Vernunft beschwor; wobei die Rättin rückblickend sprach. Die Welt ging aus den Fugen, aber des Menschengeschlechtes Grandige Macheffel vertagten sich von Arbeitsessen zu

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