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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Lebensmittelrationierungen wegfielen hatte er die nun berühmte Madonna mit Kind ganz in Gedanken an eine Filmschauspielerin gemalt, die ihm am Vorabend im Kino es lief »Die fidele Tankstelle« in alter Frische erschienen war, als wäre nie Krieg gewesen. Während noch Malskat in sich hineinlachte, sprach von der Kanzel herab zu allen, doch insbesondere zum Kanzler Adenauer, der wie in Holz geschnitzt saß, der Bischof Pantke; das war nicht jener, dem der Teufel eingegeben hatte, als Schlußstein ein Hakenkreuz ins Chorgewölbe setzen zu lassen, sondern ein greises Männchen, das zu den Festgästen und Würdenträgern sprach, wohl auch zum niederen Volk auf den hinteren Bänken.
Wie ich nicht weiß, was alles, während der Bischof sprach, Malskat zum inwendigen Lachen brachte, und nur vermuten kann, es wird die Filmschauspielerin als Madonna oder der bohrende Gedanke gewesen sein, weiß ich auch nicht, was sich der Kanzler Adenauer dachte, als ihm die Predigt des Bischofs Pantke zuteil wurde. Jene um ihn plazierten Festgäste und Würdenträger, denen die Unschuld feist zu Gesicht stand, mögen ihn kaum ins Grübeln gebracht haben, wohl aber ist zu vermuten, daß er sich um die Wiederbewaffnung der vor nicht langer Zeit entwaffneten Deutschen sorgte und sich Gedanken in Divisionsstärke machte; oder hörte er katholisch unbewegt der protestantischen Predigt des Bischofs zu ?
Der lobte und dankte Gott, indem er ihn in kurze und lange Sätze stopfte. Von Gottes Gnade und Gottes Güte, von Gottes auch den Sündern sicherer Liebe und vom Gotteswunder in dunkler Zeit sprach er, zudem zeitbezüglich von den Geschlagenen, denen Gott mit Bildeskraft ein Zeichen gegeben habe. Als Bischof Pantke »Nun danket alle Gott« anstimmte, sang Lothar Malskat laut mit. Es sangen der Arbeitgeber Fey, Kirchenbaumeister Fendrich, Oberkirchenrat Göbel, der Denkmalspfleger Münter. Es sang Ministerialrat von Schönebeck, der von Bonn aus das Lübecker Wunder finanziert hatte. Landesund Bundespolitiker sangen. Das niedere Volk sang, wie es allzeit gesungen hat. Und es sang der erste Kanzler des frischgebackenen Staates, ein wie Lothar Malskat begabter Wundertäter, an dessen Seite oder ihm gegenüber getrost des anderen Staates Gründer und Wundertäter hätte Platz nehmen und mitsingen können, wenn auch nur weltlichen Text; denn zu Recht sieht unser Herr Matzerath das Triumvirat Adenauer, Malskat, Ulbricht selbdritt tätig. Noch vor Beginn jener Jahre, die er die falschen Fuffziger nennt, hätten sie begonnen, aus bröckelndem Nichts das Alte neu zu erschaffen und alle Welt meisterlich zu täuschen, ein jeglicher auf seine Art. Das hört sich schlüssig an. Nicht jedoch stimme ich unseres Herrn Matzerath Vorschlag zu, man möge heute, aus gehöriger Distanz und nachdem endlich der Fuffzigerschwindel durchschaut ist, Briefmarken im Hochformat drucken und gesamtdeutsch in Umlauf bringen, die auf Säulenkapitellen ein ganzfigürliches Trio als Bildmotiv zeigen müßten, wie vormals die gegenwärtig so sündhaft teure Verkündigungsgruppe. Rechts vom ostpreußischen Maler mit filziger Wollmütze solle unterm Zylinder der rheinländische Kanzler stehen und links der sächsische Staatsratsvorsitzende, der eine Schirmmütze trägt. Attribute könnten den Flügelmännern zur Hand sein, etwa spielzeuggroße Panzer amerikanischer und sowjetischer Bauart; dem Mittelsmann stünden Pinsel und Drahtbürste zu. So ließe sich die dreieinige Fälschung von dazumal, auf Personen gebracht, zum Wertzeichen läutern, wie ja der gegenwärtige Wohlstand zweifellos auf verjährtem Schwindel fuße. »Und auf Fleiß!« ruft unser Herr Matzerath. »Unermüdlich fertigten sie ihre Trugbilder bis ins Detail getreu. Der eine, der andere klüngelte, buk, sächselte, frömmelte, log und beschwor sich sein Deutschland, auf daß der dritte ihnen in Lübeck, wo Land an Land grenzt, ein gotisch Dach wölbte. Wie sollen die drei nicht sinnfällig werden, und sei es im gezahnten Viereck vereint. Auf Briefen und Päckchen, mit niedrigstem Wert auf Postkarten sogar, sehe ich sie selbdritt ihren Weg von hüben nach drüben, von dort nach hier nehmen. Was der Politik nicht gelang, fügt sich postalisch. Ein gesamtdeutsches Wertzeichen beglaubigt, gestempelt. Ein Sieg der Philatelie!«
Mein Widerspruch kümmert unseren Herrn Matzerath nicht. Wenn schon Briefmarken, sage ich aber er hört nur sich -, dann möge man solche in Umlauf bringen, die einzig Ulbricht mit Adenauer

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