Die Rättin
koppeln, Seit an Seit, wie man die beiden Dichter oder Profil hinter Profil gestaffelt die Grimmbrüder zeige. Denn schließlich verließ Malskat bald nach der Siebenhundertjahrfeier das Fälschertrio, und zwar nach gedanklicher Vorarbeit.
Am Nachmittag des I. September einundfünfzig saß er zur Nachfeier mit einigen Bauarbeitern in »Fredenhags Keller«. Nur auf einen Sprung kam, noch immer im Stresemann, der Arbeitgeber Fey vorbei und spendierte Schnapsund Bierlagen. Dann mußte er ins Rathaus, wo nicht Malskat, nein, er, der schöne Fey, dem Bundeskanzler vorgestellt werden sollte. Nach Berichten der Lokalpresse soll Adenauer gesagt haben: »Na, da haben Sie ja den Kunsthistorikern eine schöne Aufgabe hinterlassen.« Nicht verbürgt ist die Legende, der Kanzler habe nach diesen Worten Fey zugezwinkert.
Später ging Malskat mit einigen Kumpels vom Bau ins »Cafe Niederegger«. Fest stand sein Entschluß, den Schwindel endlich auffliegen zu lassen. Der Bohrwurmgedanke trieb ihn. Es war nämlich während der Feierstunde, grad als dem Schönling Fey eine Ehrenurkunde mit Datum und Siegel übergeben wurde, von oben und wie gezielt ein Gewitter über Lübeck niedergegangen. Der deutliche Einspruch des Himmels erschreckte den Maler auf der vorletzten Kirchenbank. Fromm wie er malte, verstand er Blitz und Donner als Fingerzeig. Wieder und wieder erhellte plötzliche Grelle die Trugbilder im Langhaus und Chor. Zudem war es gotteslästerlich gewesen, den Festund Staatsakt auf den ersten September, auf jenen Tag also zu legen, an dem vor zwölf Jahren der Krieg vorerst den Polen erklärt worden war...
Obendrein erinnerten Blitze und folgendes Krachen mit des Ewigen Donnerwort an den Palmsonntag zweiundvierzig, als britische Flugzeuge ihre Bombenlast über Lübecks Innenstadt ausgeschüttet hatten. Eine Stabbrandbombe durchschlug damals das Dach der Marienkirche und setzte das Backsteingebäude dergestalt umfassend in Brand, daß nicht nur die Große Glocke ins Kirchenschiff stürzte, sondern überdies fingerdikke, Schicht nach Schicht aufgetragene Schlämmkreide, die den Innenraum seit der Reformationszeit protestantisch nüchtern gehalten hatte, von den Wänden sprang, worauf in Konturen und Farbfeldern gotische Wandmalerei ans Licht kam: brüchige Andeutungen nur, der bröckelnde Abglanz schadhafter Schönheit. Und aus diesen Resten, die seit der Brandnacht immer dürftiger wurden, hatte nicht etwa Fey, der die Ehrenurkunde erhielt und dem der Kanzler womöglich zugezwinkert hat, das Wunder von Lübeck vollbracht, sondern einzig Malskat, er, nur er.
Seine Heiligen. Im Chor drei, im Langhaus zwei Meter hoch. Hier auf Säulen, dort unter Baldachine gestellt. Jadoch! Romanische, byzantinische, sogar koptische Zugaben standen ihnen ausdrücklich gut zu Gesicht. Unter gradlinigen Säumen, auf seitich hochgeklappten Flossenfüßen: die Gemeinschaft der Heiligen schweigt sich an und ist dennoch beredt, wenn etwa die Auferstehung im vierten Joch der Kreuzigung im Südjoch antwortet. Besonderes Lob fand bei Kunsthistorikern, die im Juni einundfünfzig, als annähernd alles vollbracht war, unter Feys Anleitung ins große Gerüst kletterten, die Gestalt des Heiligen Bartholomäus im dritten Joch, das ist der mit dem Messer. Damals hatte sich Malskat seitlich ins Gerüst verdrückt. Niemandem sichtbar lachte er über Feys hallende Erklärungen. Er, immer nur er. Er hatte, er wußte, er war sich aller Details sicher. Einzelheiten, die Malskat in Eile auszuführen vergessen hatte, etwa das Wundmal in des Auferstandenen linker Hand und auch die Stigmata in beiden Händen des Heiligen Franz, führte Fey auf Unterlassungen des hochgotischen Chorund Langhausmeisters zurück: man habe wohl damals schon unter Zeitdruck arbeiten müssen.
Lang, mager und trotz des Sommerwetters mit Pudelmütze im Gerüst, so hatte Malskat den fachkundigen Lügen zugehört. Er lachte, wie von früh an gelernt, in sich hinein und beschloß zum erstenmal, seine Gerüstgeheimnisse unter die Leute zu bringen.
Doch als der Maler zum Denkmalsamt lief und zudem alle kirchlichen Amtsstuben abklapperte, wollte ihm niemand glauben. Die Denkmalsschützer hielten ihn für einen Aufschneider, die Pfaffen hatten Angst vorm Skandal. Es stand ja die Siebenhundertjahrfeier bevor. Ausdrücklich hatte der Bundeskanzler seine Anwesenheit zugesagt. Dieser wahrheitssüchtige Malskat mit seiner Drahtbürstengeschichte störte. »Was heißt hier Fälschung!« riefen die
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