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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Werftanlagen zu entwickeln, mag noch angehen, wenn sie nun aber Schrauben und Schräubchen, Kugellager, Gewinde und Bolzen zu sortieren und mühsam zu entrosten beginnen, obendrein großspurig von ihrem Ersatzteillager reden, wirkt dieses Getue lächerlich, zumal sie unseren eher spielerischen, doch nicht ungeschickten Umgang mit metallenen Fundsachen verhöhnen; was wir zu annähernd künstlerischen Gebilden montieren und vorm Artushof oder auf den Beischlägen der Frauengasse zur Schau stellen, wird oft mutwillig zerstört.
Ihr solltet das nicht so ernst nehmen, warf ich ein. Im Grunde leiden die Deutschratten an ihren Ordnungszwängen. Sie bewundern eure leichte Hand, diese Gabe zu improvisieren, euren eingeborenen Kunstsinn. Wirklich sehenswert diese Figurinen aus Schrott!
Ach was! sagte die Rättin, bloßer Zeitvertreib, Spielerei. Doch unsere ernsthaften Bemühungen werden gleichfalls nicht anerkannt. Immerhin kümmern wir uns um Altbauten, deren Zustand ihnen gleichgültig ist. Ohne unsere Methode, mit Hilfe von Kalk, den wir aus Muscheln im Schwemmsand gewinnen, und Sand, den der ständige Wind in die Gassen weht, witterungsbeständigen Mörtel zu mischen, würde die historische Bausubstanz der Rechtund Altstadt von GdaDsk noch rascher verfallen. Sie aber reden besitzergreifend von unserem Danzig. Gäbe es nicht den anhaltenden Zuzug restlicher Rattenvölker aus Rußland, wo es, nach allen Berichten, immer noch schlimm aussieht, könnten sich hiesige Konflikte, sagen wir ruhig, die deutsch-polnischen Gegensätze abermals zuspitzen. Wie gut, daß es die Russen gibt und nicht nur die und uns. Man weiß ja, wohin das zu Zeiten des Menschengeschlechts und noch in posthumaner Zeit geführt hat; denn als sich während der Hungerperiode unsereins ineinander verbissen hatte, war nicht nur eifernd vom wahren Glauben die Rede gewesen, es wurde auch Ihr Pollacken! Ihr Preußen! geschimpft. Ach wie gut, Herrchen, rief die Rättin, daß uns alle, seitdem wir Ackerbau betreiben und allesamt nicht mehr das Tageslicht scheuen, eine Lautverschiebung eint. Unsere Sprache gleicht sich den neuen Tätigkeiten und Gewohnheiten an. Sag, Lieberchen, fällt dir nicht auf, daß wir neuerdings weicher, gaumiger sprechen? Kein Fisteln, kein Gezischel mehr. Sogar tiefe und breite Töne gelingen uns. Endungen auf kait und hait, früher ungewohnte Wörter wie Saat, Dung, Gurke, Korn und nicht zuletzt Sonnenblume werden klanghaft geläufig. Unsere vormals spitzen, zischelnden Laute sind vollmundiger, aber auch flacher geworden, sie geraten ins Breite. Das kommt, weil wir so oft über die Ernte, das Kernestecken und immerzu übers Wetter reden. In ländlichen Regionen wird besonders bräsig und braatsch gesprochen. In den städtischen Revieren bilden sich Zwischentöne aus. Dort gelingen das A und das O und das U wohlklingend. Wir üben Wörter wie: Wehmut, Mohnblume und Abendrot.
Und ich hörte die Ratten städtisch daherreden und mit ländlichem Zungenschlag. Auf dem Land wie in der Stadt sagten sie Zoagel oder Zagel für Schwanz. Wenn von der Kälteperiode nach dem Großen Knall die Rede war, hieß es: Daas war man inne Hubbrichkait, daas wiä hädden all objefreeten. Räjen hieß Regen und Arfte Erbsen. Und die Uralte nannten sie Olsche oder Olschke. Es klang gemütlich stubenwarm, als hätte Anna Koljaiczeks Redeweise den Landwie Stadtratten zur Lautverschiebung verholfen. Die Rättin sagte: Nu, Lieberchen, mechts diä nich anheeren inne Kirch, waas jeiebt is auf Ärntedank?
Nachdem sie mir, außer etlichen Schrottskulpturen, die, nach des Menschen Bild geschaffen, auf dem Langen Markt ausgestellt standen, Arbeitskolonnen gezeigt hatte, deren Aufgabe es war, bröckelndes Altstadtgemäuer mit Kalkmörtel zu stabilisieren, zog mich die Rättin ins Innere der Marienkirche, als müßte ich immer wieder in jene gotische Seelenscheune geführt werden, die jedes Wort ins Bedeutsame hebt.
Der Steinplattenboden und die eingelassenen Grabplatten der Altdanziger Patriziergeschlechter lagen verdeckt, so dicht drängten sich die versammelten Rattenvölker. Was leiderfüllt anhob, dann jubelte, ein tieforgelnder und in hoher Lage silbriger Gesang, den offenbar mehrere Chöre anstimmten, denn er war kunstvoll verwoben, füllte die Hallenkirche bis ins Netzgewölbe der hoch oben auslaufenden, ihren Schlußstein suchenden Pfeiler.
Die Rattenmesse in Sankt Marien hatte schon begonnen; oder war sie ohne Anfang und Ende? Vom Westportal bis zum entrückten

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