Die Rättin
Schwarzröcke. »Hundert Kunstexperten, die alle echt, wahrhaftig, epochal sagen, können nicht irren.«
Es war nun mal die Zeit des Zwinkerns, der Persilscheine und des schönen Scheins. Im Jahrzehnt der Unschuldslämmer und weißen Westen, der Mörder in Amt und Würden und christlichen Heuchler auf der Regierungsbank, wollte niemand dies oder das allzu genau wissen, gleich, was geschehen war.
Schon wollte Malskat aufgeben und den Schwindel Schwindel sein lassen. Und wäre nicht das Unwetter mit Blitz und Donnerworten über Lübeck niedergegangen, hätte er womöglich geschwiegen. Nun aber, deutlich vom Himmel angesprochen, kramte der Maler Skizzen und Vorlagen, Tagebuchnotizen und sonstige Zeugnisse zusammen, nahm sich einen Rechtsanwalt und brachte in Selbstanzeige die Wahrheit, das Unzeitgemäße ans Licht.
Sichtlich zufrieden ist er, so sehr ihn der Dauerkatheter behindert. Zügig, dabei seine Rede skandierend, schreitet er auf und ab. In Lackschuhen diesmal. Er läßt nicht locker. Was sein Kopf hergibt, muß Gestalt werden. An der fensterlosen Stirnwand seiner übertrieben geräumigen Chefetage ließ er neben der Tafel eine stark vergrößerte Schwarzweißabbildung aufziehen: im Hochformat jene Dreiergruppe von Malskats Hand, die nach wie vor das siebzehnte Joch im LanghausObergaden der Lübecker Marienkirche füllt; nur die Chorheiligen wurden nach dem Prozeß abgewaschen.
Er weist mit dem Zeigestock auf Einzelheiten: »Jener mit dem Schwert. Der Mittlere hält einen Pinsel. Des Dritten Bart läuft spitz zu.« Er will mich schulmeisterlich überzeugen. »Daß ich nicht lache!«, ruft er. »Das sollen Heilige sein, Apostel womöglich! Und wo, wo bitte, sind die Heiligenscheine? O ja, ich kenne die Erklärung: Der schusselige, der zerstreute, der bei zu niedrigem Stundenlohn leichtfertig flüchtige Malskat hat vergessen, dreimal schüsselrunde Konturen zu ziehen. Wie er hier und da einen Schuh zu malen versäumt, die Wundmale des Herrn, die Stigmata des Heiligen Franz ausgelassen hat, werden auch jene Heiligenscheine eins zwei drei unter den Tisch gefallen sein. Doch wenn wir genau hinschauen was nicht jedermanns Sache ist-, erkennen wir hintersinnige Absicht. Diese drei Männer, sage ich, sind keine unvollständigen Apostel, vielmehr bilden sie, wenn nicht porträtmäßig, so doch ideell, unseren gewitzten Maler und zwei Staatsmänner ab, oder Grandige Macheffel, wie Ihre Rättin sagt. Neinnein! Ich will nicht behaupten, es habe sich Malskat auf hohem Gerüst eines Tages entschlossen zu sagen: Hoppla! Jetzt male ich mich zwischen den ollen Adenauer und Ulbricht, den Spitzbart; eher vermute ich: der Zeitgeist von dazumal wird ihm diese Dreiergruppe eingegeben haben. Plötzlich erleuchtet, sah er sich dazwischengestellt. Oder mischte er unbewußt, sozusagen in Unschuld diese profane Konstellation in seine Gemeinschaft der Heiligen? Ich werde ihn aufsuchen. Ich werde mich mit Malskat ins Café Niederegger setzen. Wir werden uns bei Tee und Gebäck wie süchtig erinnern: Was alles und wer zur damals allgemeingültigen Trugbildnerei beigetragen hat. Hinge mir nicht dieser Katheter an, ich wäre heute schon unterwegs.«
Gut, daß ihm das Malheur widerfuhr. Ohne Fremdkörper als Anhängsel zöge er Konsequenzen sogleich, wie sonst nach längerer Rede. Unser Herr Matzerath schweigt. Offenbar holt ihn Vergangenes ein. Unsicher tippelt er, sucht ein erstes Wort, hat es gefunden, denn nun winkt mich sein Ringfinger es ist jener mit dem Rubin dicht, noch dichter heran. Beugen muß ich mich, sein Kölnisch Wasser riechen, denn er will flüstern: »Nicht wahr? Sie haben mich abschaffen, regelrecht umbringen wollen. Es war Ihre Absicht, meine Geschichte weitweg in Polen, unter den Röcken meiner Großmutter zu beenden. Ein jedermann plausibler und doch zu nahe liegender Schluß. Mag sein, daß ich mich überlebt habe; doch so ist Oskar nicht zu eliminieren!«
Nach einer Pause, die er sich und auch mir einräumt, sagt unser Herr Matzerath aus tiefem Chefsessel: »Ihr Hang zu vorschnellen Abrundungen könnte mir durchaus verständlich sein, mehr noch: ich begreife, daß meine Existenz stört. Ich soll nicht mehr dreinreden dürfen. Sie wünschen, mich loszuwerden. Niemand soll zukünftig, wenn er Sie meint, auf mich verweisen können. Kurzum, wenn es nach Ihnen ginge, wäre ich abgeschrieben bereits...«
Natürlich widerspreche ich. Doch mein Beteuern hält ihn nicht ab, mir fernerhin Mordabsichten zu unterstellen: »Hören
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