Die Rättin
Kinder verrenkten sich, zappelten. Tanzwütig zwischen ihnen: Gret und ihr Hans. Hüpf-, Stampfund Schütteltänze. Das alles geschah ja in tanzlustiger Zeit. So vernarrt waren die Tänzer ineinander, daß ihnen der Pfeifer gen Morgen nicht fehlte. Der hatte sich, als es besonders hoch herging und nun auch weitere Mägdlein ihre Ratten einließen, davongemacht.
Er soll auf hohem Baum seine Kappe mit Federschmuck geschwenkt haben, worauf geschah, was vorbereitet war. Die Höhle wurde wir wissen es zugemauert, verschüttet und mit Weihwasser bedacht; weshalb man die Söhnchen Kaspar, Melchior und Balthasar dazugezählt von hundertdreiunddreißig Hämelschen Kindern sprechen muß, die am 26. Juni des Jahres 1284 im Kalvarienberg verschwanden und nimmer gesehen wurden.
Zu meiner Weihnachtsratte, die unterm Erzählen ihr Häuschen verlassen und ihre Witterhaare hochgestellt hatte, sagte ich: Übrigens wurde um diese Zeit wenn man nicht Kunsthistorikern, sondern dem Vorleben des Malers Malskat folgt die Lübecker Marienkirche inwendig ausgemalt. Nicht nur Langhaus und Chor, auch Fensterleibungen und Arkadenbögen. So entstanden die Drolerien der Fabelfenster. Sie zeigen Esel und Huhn, wobei der Esel Nadel und Faden führt, das Huhn jedoch Eier ausbrütet, aus denen gewiß das Böse schlüpfen wird. Wir sehen Krebse gegeneinander Schach spielen. Der Fuchsmönch predigt dem Schaf und der Ziege. Warum sitzt am Spinnrocken fleißig der Hirsch? Die fliegenden Vögel im oberen Dreipaß und zwischen den Spitzbögen der Fabelfenster mögen Tauben sein. In einer Leibung jedoch sehen wir über einem medaillongefaßten Jungfrauenkopf ein gleichgroßes Medaillon, das ein langund glattschwänziges Tier mit bärtigem Männerkopf zeigt und dessen Eindeutigkeit kein Rätseln mehr zuläßt: die Hämelschen Einflüsse auf die Werkstatt des Lübekker Chorund Langschiffmeisters sind bewiesen.
Jedenfalls gab die Mutterkirche der Backsteingotik in ihren Wandmalereien Zeugnis schrecklicher Zeit. Und als rund sechshundertachtzig Jahre später abermals ein Maler hoch ins Gerüst stieg, erinnerte er Wunder und Ahnungen, Veitstänze und Totentänze, alle vorgezeichneten Plagen und Schrecken. Nicht mehr lange, da kam, wie es hieß, mit den Ratten die Pest und brachte mit Todesschweiß ein, was ängstlich geahnt worden war...
Der durch Lothar Malskats Selbstanzeige ausgelöste Lübecker Bildfälscherprozeß schleppte sich über zwei Jahre hin und war immer dann ein Publikumserfolg, wenn der angeklagte Ostpreuße seinen Auftritt hatte; doch geben die Verhandlungen vorm Landgericht Lübeck, sobald ich die Anklageschrift sichte oder Protokolle durchs Sieb streiche, wenig her außer Gerede, weil zwar Malskat und sein Arbeitgeber Fey, der eine mit achtzehn Monaten, der andere mit zwei Jahren Gefängnis bestraft wurden, die eigentlichen Täuscher jedoch dem Richter ehrenwert blieben; so schummeln, tricksen, heucheln, lügen und frömmeln sie weiter bis heutzutage. Und auch den staatsmännischen Trugbildnern wurde nirgendwann der Prozeß gemacht. Straffrei gingen sie aus; als sie altersschwach starben, wurde der eine hochgeehrt, der andere halbvergessen begraben. Deshalb wird jener Schummel der fünfziger Jahre, den wir abgekürzt BRD-DDR nennen, immer noch als echt angesehen, während ein Gutteil der Malskatschen Kunst, jene einundzwanzig Chorheiligen in sieben Jochfeldern, die ganz sein eigen waren, im Jahre fünfundfünfzig mit Bürsten und Schrubbern abgewaschen wurden. Weil man jedoch versäumte, nach Art der Bilderstürmer die nun kunstfreien Flächen protestantisch weiß zu tünchen, verraten bis heute trübe Flecken und schmuddelige Placken die Schändung der Malskatschen Zeugnisse.
Ach, hätte man seine Bilder, zumal er die Wahrheit ans Licht brachte, doch stehen lassen und den wahren Schwindel, der nie eingestanden wurde, die Machwerke der Staatsgründer außer Kraft gesetzt. Er, der sein Eingeständnis vor die Richter warf, kam hinter Gitter, die beiden Großfälscher hingegen konnten ungeschoren ihr böses Spiel Staat gegen Staat spielen, Lüge gegen Lüge setzen, Falschgeld gegen Falschgeld münzen und schon bald während eilfertig Malskats gotisches Bildwerk zerstört wurde in Divisionen Soldaten, schon wieder deutsche Soldaten, gegeneinander ins Schußfeld rücken; und das als Erbschaft der Greise, bis heute mit immer mehr Soldaten, mit immer genauerem Ziel, mit der geübten Absicht, es ganz und gar ausgehen zu lassen.
Nein, Rättlein, uns
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