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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Langgasse hoch und durchs Grüne Tor auf die Brücke zur Speicherinsel zu schleppen, wurden schon vorm Zeughausportal von Rattenhorden, die aus der Jopengasse einfielen, angegriffen und in Zweikämpfe verwickelt. Dezimiert und geschwächt gelang es nur wenigen Transportgruppen der Versöhnler, sich bis zur Brücke durchzukämpfen: schmale Kost fiel den Manippels zu.
Ich rief: Ein magerer Tribut ist das!
Die Rättin: Immer noch viel zu viel!
Ich: Jedenfalls leiden sie Mangel.
Geschieht ihnen recht! rief sie, tun ja nichts als fressen und rammeln und rammeln und fressen.
Die Speicherinsel sah übervölkert aus. Zwar hatten sie kampflos die in Richtung Strohdeich anschließende Insel zwischen dem Kielgraben und der Mottlau besetzt und im ehemaligen Pumpwerk, sowie auf dem Bleihof zusätzliches Quartier gefunden, dennoch schauten aus allen Speicherluken und Dachfenstern erwachsene und kindliche Watsoncricks. Gedränge auf den Kaianlagen und auf der Chmielna, wie die Polen die Hopfengasse genannt hatten. Aufläufe vor den Brücken, besonders vor der breiten Überführung der Leningradzka, die vormals als Vorstädtischer Graben die Rechtstadt begrenzt hatte. Überall stauten sie sich, nun ausgemergelt und knochig. Ihre anfangs skandinavisch anmutende Gelassenheit, ihr schwedisch-sozialdemokratisches Phlegma war von umsichgreifender Unruhe, von kaum zu bändigendem Tatendrang abgelöst. Was übers Wasser trug: ihre zwar rauhe, doch bisher gemütliche, gaumig verschlumpfte Sprache erfand sich kehlig Flüche und Drohungen.
Und dann sahen die Rättin und ich, wie sie sich formierten. Nicht, daß sie sich bewaffnet hätten, etwa mit Eisenstäben, leicht aus Kellerfenstern zu brechen; unbewaffnet bildeten sie einen Stoßkeil, der im Laufschritt über die Brücke durchs Grüne Tor auf den Langen Markt drang. Ihm folgten Kolonnen: blond, blauäugig, die Rattenköpfe nach vorn gerichtet, als müsse links rechts nichts beachtet werden, als gäbe es einen Willen nur. Natürlich gleichberechtigt: weibliche und männliche Watsoncricks nahmen, ohne Widerstand zu finden, den Langen Markt bis zur Matzkauschen Gasse ein. Mit Doppelposten beiderlei Geschlechts besetzten sie die Beischläge der reichgegiebelten Patrizierhäuser. Ungerührt erlaubten sie, als gehe sie das nichts an, die Flucht der Rattensippen aus den markierten Gebäuden, desgleichen aus dem Artushof, der als Maislager diente, sowie aus dem hochgetürmten Rathaus, das ihnen als Kornlager zufiel; im Rathauskeller lagerten Sonnenblumenkerne und Zuckerrüben. Weiter drangen sie nicht vor. Gleich hinterm löwengeschmückten Rathausportal, das über Treppen zur Langgasse führt, sperrten sie die Gasse mit Betonkübeln ab, die während der Humanzeit, als die Innenstadt Fußgängerzone war, für Blumenschmuck bestimmt gewesen waren. Überdies pißten und koteten sie neue Markierrungen.
Stille danach. Keine heftigen Bewegungen mehr. Sie fraßen langsam in sich hinein. Dann standen lässig und nordländisch überlegsam wechselnde Gruppen um den Neptunsbrunnen geschart. Es sah aus, als wären sie von Gedanken bewegt wie man der ansehnlichen Bronze, einem muskulös nackten Mann mit Dreizack, neuerdings Wasserspiele beibringen könne; einige mimten albern den Meeresgott.
Paß auf, sagte die Rättin, lange halten die nicht still. Das reicht denen nicht. Ein Weilchen, bis ihnen neue Würfe ins Haus stehen, werden sie Ruhe geben, doch dann ist die Langgasse bis zum Tor und zum Stockturm dran, danach das Quartier von der Reitbahn bis zur Ankerschmiedegasse. Vielleicht lassen sie die Vorstadt uns. Aber die gesamte Rechtstadt um Sankt Marien werden sie bis zum Altstädtischen Graben aufrollen; uns bleibt Stare Miasto, wie die Polen das Revier um Sankt Katharinen genannt haben. Dort, desgleichen zwischen Poggenpfuhl und Fleischergasse und in der ohnehin überfüllten Niederstadt, dürfen wir dann zusammenrücken, bis auch diese Reviere geräumt werden müssen. Und danach, wetten, sind Ratten nur noch als Landvolk geduldet, das von den Weichselniederungen bis ins kaschubische Bergland unter Aufsicht ackern und ackern muß, damit die Watsoncricks zu fressen genug haben.
Als ich dem Betrieb zwischen der Speicherinsel und dem Langen Markt stumm zusah und nicht ohne Vergnügen beobachtete, wie mehrere Großsippen aus den Raiffeisenspeichern in reichgegiebelte Patrizierhäuser umzogen, wobei sie stuhlund tischähnliche Möbel schleppten, sagte die Rättin übereifrig, als wollte sie mich von

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