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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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alles heil und wie früher ist.« Da verlassen Hänsel und Gretel ihr Versteck und laufen abermals davon. (Wieder abseits von allem Geschehen, will unser Herr Matzerath diesen immerhin denkbaren Verlauf; und ich stimme ihm zu.) Nicht auf Kommando des Kanzlers, der glaubt, einfach weiterregieren zu können, als gäbe es nicht Generäle Pfaffen Bosse, wirft der Greifer des kommandierenden Räumdrachens den wachküssenden Prinzen und sein Dornröschen weit von sich, so daß beide sogleich zerschmettert sind.
Jetzt überrollt der Drachen das sich im Tode noch küssende Paar, will nun Hänsel und Gretel hinterdrein, will des Kanzlers Kinder fressen und niedermachen; aber die beiden sind weit weg schon und auf und davon...
    Das haben wir nicht gewollt,
sagen die tief Betroffenen zu anderen, die gleichfalls zutiefst betroffen sind: soviel Betroffenheit von statistischem Wert. Nie war die Einschaltquote so hoch.
    Wir sind bestürzt! rufen Chöre
anderen Chören zu, die zutiefst erschüttert sind. Mehrheitlich, wie sich auszählen läßt,
sind wir bestürzt und erschüttert zutiefst. Danach ist von frisch gewonnener Festigkeit und von Verlusten die Rede,
mit denen man leben müsse, so traurig das sei. Die neue Mehrheit hat wieder Mut gefaßt
und läßt sich nicht unterkriegen so leicht.
Dennoch sollte der Mensch, heißt es in Kommentaren, Betroffenheit zeigen können; wenigstens
nach der Abendschau ab und zu.
    Ich versprach meiner Weihnachtsratte, es nicht beim Weglaufen zu lassen, vielmehr einen anderen, womöglich verklärten Schluß zu suchen, den mir unser Herr Matzerath kürzlich, als wir einander wie gewohnt heimsuchten, mit zwei drei Stichworten »Hoffnung schöpfen! Das Wunder nie ausschließen!«
als glückliche Wendung angeraten hat. Dennoch bleibt sie in ihrem Häuschen ungerührt und läßt nur die Spitzen ihrer Witterhaare sehen. Nichts kann sie locken: kein geistliches Konzert, nicht die Wasserstandsmeldungen der Elbe und Saale, schon gar nicht das Echo des Tages; und selbst der Schulfunk für alle, dem sonst ihr Interesse sicher ist, schwatzt ihr kein Aufmerken ab; unser tagtäglicher Existenzbeweis, das Dritte Programm versagt.
Also versuche ich es mit Hameln. Hör zu, Rättlein, dort feiern sie seit Wochen schon. Festreden werden gehalten und Bilder mit Rattenmotiven gezeigt. Auch ich habe Blätter geschickt, die mir zu Dir eingefallen sind und meine Träume abbilden: Ratten, wie sie den aufrechten Gang üben, sich eingrabende Ratten, flüchtende, betende. Eine laufende Ratte vor der turmreichen Kulisse der Stadt Danzig-GdaDsk. Und der Rattenmensch oder die Menschenratte. Mit sattschwarzem Pinsel, mit sibirischer Kohle gezeichnet oder in Kupferplatten mit dem Stichel gerissen, gegraben, ganz fein gestrichelt.. Dabei hätte ich in Hameln lieber erzählt, was vor siebenhundert Jahren wirklich geschah. Doch will man dort von gotischen Punks, die eins waren mit ihren verzärtelten Ratten, nichts hören. Diese traurige Wahrheit paßt nicht ins Festproramm. Sie könnte der Gastronomie, dem Hotelgewerbe schaden. Womöglich ließen sich heutige Punks plötzlich einfallen, mit ihren rosa oder giftgrün gefärbten Ratten doch noch von weither zu kommen, um am Fluß Weser ihrer gotischen Vorläufer zu gedenken: schrill, mit Ketten rasselnd, totenbleich geschminkt und die Bürger verstörend. So würde abermals Chaos in Hameln Quartier finden. Und abermals müßte nach Ordnung gerufen, für Ordnung gesorgt werden. Von Hannover und Kassel herbeigetickert, kämen Hundertschaften, gerüstet mit chemischen Keulen und Wasserwerfern. Ein jeglicher Polizist wäre mit Schild und Visier auf mittelalterliche Weise geschützt. Das will doch niemand: Knüppel frei! Straßenschlachten. Die Siebenhundertjahrfeier könnte aus dem Konzept geraten und Schlagzeilen machen: »Hameln rief und die Punks kamen!« und ähnlich laute Aufmacher.
Nein, diese Geschichte paßt nicht ins Programm. Zu nackt spricht sie wahr. Denn obendrein, Rättlein, soll zwischen den hundertunddreißig gotischen Punks, die im Kalvarienberg eingemauert und verschüttet wurden, des Ratmeisters Lambert Rike jüngste Tochter mit ihrer Ratte besonders lieb gewesen sein; ein stilles und in sich gekehrtes Mädchen von sechzehn Jahren, das Gret gerufen wurde, mit ihren Zöpfen dem Sohn des reichen Wassermüllers Hornemule versprochen war und weizenblond schön beten konnte, flehentlich lang, bis es sich, wie zuvor schon andere Mädchen und Jungs, allgemein in Ratten,

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