Die Rättin
herbeisingen, auf daß er kommen möge, unsere menschenfreie Einsamkeit aufzuheben.
Jadoch ja, sagte die Rättin, es stimmt, so ganz und gar einsam waren wir nicht. Es wuchs anderes Getier nach, das uns teils ekelhaft, wie die säugenden Schmeißfliegen, teils Beute im Rahmen der Landwirtschaft war Tauben, Spatzen, Feldmäuse -, doch nichts Menschliches fiel der Natur ein. Als sie dann kamen oh, Herr, wie haben wir das Schiff zitternd herbeigesehnt und in Tagträumen vorgeahnt -, war die Enttäuschung groß.
So nicht! rief erstes Entsetzen. So unentschieden haben wir ihn nicht gewollt. Solche Ausgeburt, mag sie auch blauäugig sein, ist weder noch. Dieses so komische wie schreckliche Gemisch, dem überdies Schweinisches beigefügt wurde, kann unsereins nicht entsprechen und kränkt obendrein das Bild vom Menschen, wie wir es heil immer noch in uns tragen. Dafür, für diesen das mußt auch du zugeben menschlichen Pfusch haben wir nicht überlebt. Denn wenn wir dich in deiner Raumkapsel oder uns beigesellt träumen, bleibst du uns herrlich und beispielhaft.
Mag sein, sagte die Rättin in der Kuppel der Sternwarte neben dem Frauentor, von wo aus die Speicherinsel besonders einsichtig wird, daß unsere Partei zu früh Eliminieren! Ausrotten! gerufen hat; mag sein, daß wir, die Radikalen, zu spontan versucht haben, unsere richtige Erkenntnis in allgemeinen Vernichtungswillen umzusetzen. Jedenfalls wurden sofort Gegenstimmen laut: Abwarten. Nicht aus dem Auge verlieren. Aus ihren Gewohnheiten vorsichtig Schlüsse ziehen und ihre Schwachstellen finden.
Andere hofften und spekulierten: Vielleicht hauen die wieder ab. Vielleicht kümmern ihnen die Würfe weg. Vielleicht sind sie Fehlplanungen nur und in diesem Sinne durchaus menschlich sogar.
Also bezogen wir Merkposten, hier, in der alten Sternwarte, dem Westufer der Speicherinsel gegenüber und in den Schießscharten des Milchkannenturms, die dem Ostufer zugewendet sind. Seit Wochen, Monaten schieben wir Wache, doch nichts trifft ein: weder hauen sie ab, noch kümmern sie weg. Du siehst ja, wie sie mehr und mehr werden, während unser Streit immer verbissener wird. Nicht nur städtisch, auch auf dem Land sind wir parteiisch entzweit. Schon werden die Rüben-, Mais-, Sonnenblumenfelder geteilt. Feindselig sind neue Reviergrenzen markiert. Streit ums Saatgut läßt den Gerstenund Linsenanbau zurückgehen. Beide Parteien legen gesondert Vorräte an. Umschichtig versammeln wir uns in Sankt Marien. Kürzlich wurde beschlossen, daß alle links von der Brotbänkenund der Jopengasse zur Mottlau hinführenden Gassen von uns, alle rechtsläufigen Gassen bis hinterm Vorstädtischen Graben von den Versöhnlern bewohnt werden. Die hören nicht auf, Hoffnungen zu plappern: Vielleicht kann man mit ihnen auf Dauer auskommen. Wenn man sie zufriedenstellt, wird sich die Menschenratte uns anpassen. Schließlich ist sie abhängig von uns. Sie lebt von gespeicherten Vorräten, die wir überschüssig, seit vielen Ernten überschüssig gelagert haben. Wir sollten ihnen zukommen lassen, was sie benötigen. Nennt es Deputat, den Zehnten, oder Tribut. Jedenfalls sollten sie nicht hungern müssen. Hunger könnte sie angriffig machen. Wir Ratten sollten wissen, was Hunger heißt!
Bitter, als stieße ihr jahrtausendalte Erfahrung auf, lachte die Rättin: Hör dir das an, Herr! Die ewiggleichen Sprüche unbelehrbarer Abwiegler und Versöhnler. Wir hingegen sehen klar, allzu klar. Mehr und mehr werden sie haben wollen. Am Ende teilen sie uns zu, was übrig geblieben ist. Auf Rationen gesetzt werden wir sein. Raffgier, ihre Habsucht wird über uns kommen. Das ist das Menschliche an den Nippels. Schlußmachen! rufen wir, machen aber nicht Schluß, sondern beißen uns mit unsereins rum. In der Wollwebergasse, um den Stockturm und hinterm Zeughaus ist es zu Straßenschlachten gekommen, auf dem Land nur zu kleineren Übergriffen bisher.
Und ich sah, wie sie sich befetzten. Bis zum Verenden ineinander verbissen. Der Rattenzähne unverminderte Schärfe. Überallhin, wo ihr Streit in Kampf umschlug, führte die Rättin mich. So streng um die Speicherinsel herum Distanz gehalten wurde, damit den Manippels der Zwist der Rattenvölker verborgen blieb, im Stadtkern hemmte nichts die Parteien. Rattengruppen, die aus dem Zeughaus, das neuerdings, wie auch der Theaterbau nebenan, Lagerhaus ist, Maiskolben und nicht entkernte Sonnenblumen trugen, um diese Feldfrüchte als Zehnten durch die Wollwebergasse, die
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