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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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besonders aber in eine einzelne Ratte vernarrte. Und diese Gret, des Ratmeisters Jüngste, soll ihre Ratte Hans gerufen und es mit ihrem Rattenhans womöglich gemacht, immer wieder getrieben haben.
Was heißt hier soll und womöglich! Sie trieb es, ließ sich, machte und hat.
Bis dahin war ihr Möslein unangefochten gewesen. Mit Hilfe weltflüchtiger Gebete sperrte sie jeden Gedanken aus, der fingerlang zudringlich wurde. Auf Rufweite allenfalls hatte des reichen Wassermüllers Sohn ihr nahekommen dürfen. Und selbst beim Kirchgang war außer Blicketauschen nichts Kitzliges erlaubt gewesen.
Die Ratte jedoch durfte. Anfangs erlaubte Gret nur spielerisch Einlaß, dann durfte ihr Hans mehr und mehr, schließlich alles und das immer wieder. Worauf des Ratmeisters Tochter schwanger wurde und nach unangemessen kurzer Zeit mit Drillingen niederkam, die, wenngleich klein geraten, wie übliche Hämelsche Säuglinge proportioniert waren und ringsum menschelten, bis auf die allerliebst niedlichen Rattenköpfchen. War das eine Freude im Kreis der hundertunddreißig gotischen Punks. Weil des Stiftsvogtes Sohn, der hieß Hinner, den Schlüssel hatte, fanden nächtens alle durch die Sakristeipforte in die Bonifatiuskirche, darauf zutiefst in die Krypta, wo die drei Söhnchen auf die Namen der Weisen aus dem Morgenland getauft wurden und fortan Kaspar, Melchior und Balthasar hießen. Fromm standen die Buben und Mägdlein in ihrem Plunder ums steingehauene Taufbecken und erlaubten den ihrem Lumpenzeug draufgenähten Schellen kein blechernes Scheppern. Mucksmäuschenstill auch die Ratten, die sie im wirren Haupthaar oder auf bloßer Haut unter Pracherfetzen trugen. Des Stiftsvogtes Hinner sprach, was beim Taufakt zu sagen war. Die anderen bekannten fromm unterm niedrigen Gewölbe: Credo in unum deum...
Danach wurde bis in den Morgen am Ufer des Flusses Weser gefeiert. Aber es wollten die Bürger der Stadt die Freude der gotischen Punks nicht teilen. Noch waren die Wörter »Nukleinsäure« und »Genkette« außer Gebrauch. Vertierte Menschlein und vermenschtes Getier kamen nur im Märchen, auf Fabelbildern und — schlimm genug — beim Hexensabbat, doch nicht in Hameln am hellen Tage vor. Empörtes Geflüster machte die Gassen enger. Graumönche und Weißmönche predigten die Hölle herbei. Schon rotteten sich die niederen Gewerke gegen das ratsherrliche Patriziat. Als nicht nur Gerber und Sackträger, sondern auch Müller und Feinbäcker aufsässig redeten, stand Aufruhr bevor.
Doch sobald die Stadtbüttel handgreiflich werden und der jungen Mutter neugestaltete Säuglinge kassieren wollten, bildeten die Hundertunddreißig einen bedrohlich schützenden Kreis um den niedlichen Wurf. Zudem versprachen sie, nach angewendeter Gewalt in allen Wassermühlen, im Zehnthof des Stiftes und in den Kornhäusern vorm Thytor Feuer zu legen. Schließlich war es der Ratmeister Rike persönlich, der, seiner jüngsten Tochter Schande wegen, zudem von allen Ratsherren, dem Stiftsvogt und dem Hansegrafen bedrängt, einen Pfeifer von weither, aus Winsen an der Luhe kommen ließ, dem besondere Töne nachgesagt wurden. Gegen verbrieftes Versprechen, nach gelungenem Kunststück silbern entlöhnt zu werden, kam er und machte sich mit seinen verschieden gestimmten Flöten den Hundertunddreißig vertraut. Er spielte ihnen, wann immer sie wollten, zum Tanz auf und lehrte sie neue Tänze. Bald wurde er mit Verstecken und Zufluchten bekanntgemacht, so auch mit der geräumigen Höhle im Kalvarienberg, wohin sich die junge Mutter Gret mit ihrem Rattenhans und ihren drei besonderen Söhnchen dem Zugriff der Stadtbüttel und den Totschlägern der groben Mahlknechte entzogen hatte.
Und auf Johannes nahm der Pfeifer, der auch die Sackpfeife bei Atem zu halten verstand, die restlichen Hundertundneunundzwanzig mit seinem Gedudel aus der Stadt, um, wie er sagte, der lieblichen Mutter Gret, ihrem Hans und den drei Kindlein ein Fest zu geben. Er führte sie über Feldwege und Wiesen, durch Niederwald und Haselgesträuch in die Höhle hinein, wo mit Gerstenbier und Fladenbrot, Räucherspeck und Honigwaben gefeiert werden sollte.
Natürlich hatte man auch an die mitgeführten Ratten gedacht. Die mochten Käserinden und Sonnenblumenkerne. In Lumpen und schellenbehängt tanzten die Hundertunddreißig mit ihren Ratten bis lange nach Mitternacht. Des Kaufmanns Amelung Söhne, des Feinbäckers Stencke Töchter, des Ritters Scadelaur Jörg, vieler Gildeherren und Braumeister

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