Die Rättin
jegliche Kondolenz, ersuchte vielmehr die Gäste, den Fortgang der Feier, so verschattet sie nunmehr sei, als ganz im Sinne der Verstorbenen zu begreifen.
Also blieben die Gäste, nur Kurtchen ging. Alle standen in Gruppen und sprachen gedämpft. Als unser Herr Matzerath bat, sich setzen zu dürfen, stellte sich Maria neben ihn. Wie verloren er im zu geräumigen Sessel saß, die Lackschuhe beträchtlich überm Parkett. Damroka sagte: »Siehst du, sie hält seine Hand.« Marias Geste war nicht flüchtig. Solange er saß, stand sie ihm bei.
Ich weiß nicht mehr, wer außer mir den Professor gebeten hat, zum gegebenen Anlaß zu reden, wahrscheinlich die Filmemacher und der Dichter; jedenfalls sprach er aus dem Stegreif und dennoch dergestalt umfassend, als sollte mit seinem Nachruf auf Anna Koljaiczek die Welt und ihr Zustand erklärt werden. »Wir alle wissen, was sie verkörperte«, sagte er, um sogleich preiszugeben, was alle wußten: »Dieses ein Jahrhundert und länger währende Aushalten und Erdulden schrecklicher, mehr noch, barbarischer Geschichte. Sicher, sie lebte am Rande, erlitt die Zeit. Es war mehr ihr Enkelsohn, der sich einmischte, tätig, jawohl, auch schuldig wurde. Doch ohne sie, die immer blieb, wo sie von Anbeginn war, auf jenen kaschubischen Äckern, die wir wissen es mittlerweile die Welt bedeuten, wäre er, unser Außenseiter und äußerst fragwürdiger Held, ohne Ort, wie verloren gewesen.«
Dann erinnerte der Professor an Oskars dreißigsten Geburtstag und sagte mit der Laune des Kenners aller noch so versteckten Details: »Damals glaubte er, sich uns entziehen zu können.« Dann nannte er unseres Herrn Matzeraths spätere Existenz zeittypisch für die fünfziger Jahre, gab auch von sich und seinem Außenseitertum Bericht und erwähnte nur kurz, doch nicht frei von kritischen Nebentönen, die Matzerathsche Video-Produktion: »Unser Freund hat nun mal diesen Medientick!« Er schloß nach einem Nebensatz, der mich betraf und nach charmanter Reverenz Maria zu Ehren, allseits einvernehmlich: »Doch nun ist Oskar wieder ganz unser!« So nahm die verschattete Geburtstagsfeier dennoch einen heiteren Verlauf. Man gratulierte dem Redner. Hätte meine Damroka ihn nicht in ein längeres Gespräch über frühbarocke Kirchenmusik verwickelt, wäre am Ende mehr der Professor als das Geburtstagskind gefeiert worden. Danach nahm sie ihn mit einer Schilderung ihrer Ostseereise gefangen, die keine Station ausließ: Møns Klint, Visby, der Greifswalder Bodden... »Doch von Quallen«, sagte sie, »habe ich jetzt genug. Schließlich mischte sich Oskar, anfangs noch Hand in Hand mit Maria, wieder unter die Gäste.
Beiläufig erfuhr ich, daß an eine Produktion von »Grimms Wälder« vorläufig nicht zu denken sei. Das teilte mir der Prokurist der Firma »Post Futurum« mit. Es solle demnächst, wenn mich das tröste, der Fall Malskat aufgegriffen werden. Herr Matzerath, hieß es, sei überzeugt, daß man den Schlüssel für unsere Zukunft unter den Ablagerungen der fünfziger Jahre suchen müsse.
Die Filmemacher nannten ihre nächsten Termine. Aus nicht einsichtigen Gründen verfinsterte sich der Dichter. Ohne sich von mir zu verabschieden, ging Maria. Dummerweise ließ ich mich mit dem Genie auf ein Streitgespräch ein. Wie gut, daß der Professor und mit ihm Damroka bei Laune blieben. Sogar den Dichter lehrten sie, unrasiert dennoch zu lächeln. Und wie freundlich von unserem Herrn Matzerath, in die Händchen zu klatschen, Aufmerksamkeit zu erbitten.
Wie um das Fest angemessen ausklingen zu lassen, kündigte er die Vorführung einer, so sagte er, »vornehmlich privaten Produktion« an, die aber durch »traurige Nachricht« von nunmehr allgemeinem Interesse sei. Also sahen wir alle jene Post-Futurum-Produktion, die mittlerweile von vergangenen Abläufen handelt. Bruno zog Vorhänge gegen die Abendsonne, rückte Stühle in lockere Sitzordnung, schob ein Großschirmgerät in zentrale Position, goß allseits noch einmal ein und fütterte dann den Recorder mit der Kassette: »Der hundertundsiebte Geburtstag der verehrungswürdigen Anna Koljaiczek, geborene Bronski.«
Wie gut, daß dies ländliche Fest zur Ansicht kam; denn hätte Oskar die städtische Feier seines sechzigsten Geburtstages vorproduziert, müßte ich jetzt berichten, wie getreu seine Ahnungen bis ins Detail sind: Alles, Marias Feinkostbuffet, jedes Lachsund Gänsebrustschnittchen gezählt, alle Gäste, so auch des Dichters Bartstoppeln, meiner Damroka
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