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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zu Gruppen gestellten Schlümpfen durchsetzt: Den mit dem Beil, die mit den Sensen, zwei, die mit Tennisschlägern Freizeit gestalten, jenen, der mit der Kelle Spielzeugverkehr regelt, den Müßiggänger, den Obstverkäufer, etliche Schlümpfe, die einer sachkundig aufgebauten Kleinsteisenbahn zugeordnet sind und auf dem Bahnsteig warten; alle niedlich wie eh und je. Ich sah Küchengeräte: Mixer und Toaster, sah Polizeizubehör: Schlagstöcke, Handschellen, Helme mit Visier. Restbestände menschlicher Historie mit zumeist deutsch-polnischen Bezügen sah ich: zwischen Orden und Plaketten auch Solidarno[, den schmiedeeisernen Schriftzug, dessen viertletzter Buchstabe noch immer weißrot das Fähnchen hält.
Ach! und auch das noch. Was ich nicht sehen wollte Nun guck schon! rief sie, guck dir das an -, sah ich als Stück meiner Kindheit: jenes zwischen Haff und Ostsee gelegene Konzentrationslager, das Stutthof hieß und nur eines von über tausendsechshundert Lagern gewesen war, breitete sich als Zeugnis der Humangeschichte in modellhafter Nachbildung, nicht die Öfen, keine Baracke vergessen.
Auf dem Rückweg sah ich einen Globus, den die Besuchsratten gerne berührt und bewegt hätten, aber sie durften nicht. Und als ich in der Buchabteilung, wo, wie bei den Musikinstrumenten, viel Andrang herrschte, zwischen vielen, allerdings recht haltlosen Büchern etliche polnische Großwerke, Pan Tadeus, Ferdydurke, entdeckte, hielt ich Ausschau nach ihm und seiner Großmutter. Doch erst im Roten Rathaussaal, wo früher das Zinsgroschenbild Platz gehabt hatte, fand ich als Mumie Anna Koljaiczek und ihren Enkelsohn. Endlich zur Ruhe gekommen. Von brüchigem Stoff halb verdeckt, er ihr zu Füßen. Doch etwas fehlte.
Ich flüsterte mit meiner Liebsten. Sie lächelte, jadoch, jene Schöngelockte, in der ich meine Damroka weiß, lächelte und erlaubte, daß eine leidlich heile Blechtrommel, die mir beim Besuch der Spielzeugabteilung unübersehbar gewesen war, in den Rathaussaal umsiedeln durfte. Zwei Aufsicht führende Neuschweden besorgten das. Oskar bekam, was ihm fehlte. Lachend rief meine Liebste: Wie sagte man früher? Ordnung muß sein!
Später, an anderen Ort entrückt oder genauer, in meine Kapsel gesperrt, hörte ich sie, ohne ihren manipulierten Liebreiz im Bild zu haben: Du siehst, wir geben uns Mühe. Viele Stücke fanden sich im städtischen Bereich, anderes, etwa Scherben kaschubischer Töpferware, wurde zugetragen. Nach unserer Absicht soll das Menschenbild nicht ganz und gar verblassen. So bleibt den Rattenvölkern geradezu auferlegt, sich humaner Größe und Anmaßung zu erinnern; wobei ich einräume, daß von uns Menschenratten oder Rattenmenschen, wie du sagst, gelegentlich Zwang ausgehen muß. Wir ordnen Museumsbesuche an. Da wir die Kernund Kornvorräte unter Kontrolle haben, fällt es nicht schwer, den Vollzug unserer Weisungen zu sichern. Daß wir die ländlich ackernden Rattenvölker durch Vergabe von Besitztiteln wenn nicht abhängig, so doch anhänglich machen, hat Folgen: Schon ist das Land von den Flußmündungen bis ins Hügelland aufgeteilt. Alle Völker stellen Transportkolonnen, denn alle Vorräte werden zentral gelagert. Einzig die Stadt erlaubt Übersicht. Verteilt wird hier. Und wir verteilen. Niemand muß hungern nach diesem System, dessen Devise erträglicher Mangel heißt...
Hier brach sie ab. Sie hatte sich nachdenklich geredet. Nach einer Pause, die mir für Spiele mit anderen Wirklichkeiten blieb
ich rief Termine, ein bevorstehendes Geburtstagsfest auf -, hörte ich sie besorgt: Wir sehen dieser Entwicklung nicht ohne Bedenken zu. Die Gefahr möglicher Rückfälle in allzu bekanntes Humanverhalten ist angezeigt, zumal es uns möglich wurde, Feuer zu schlagen, was, wie du weißt, Folgen haben wird, nein, schon hat. Wir Menschenratten garen, kochen, rösten unsere Maiskolben, desgleichen die Jagdbeute der Akkerratten, die neuerdings total abgeliefert werden muß, weil uns, schier unersättlich, nach Fleisch überm Feuer verlangt. Gewiß, sie tun, was erwartet wird. Aber das reicht nicht, reicht immer weniger. Nur langsam greifen unsere Bemühungen, dem Fleischmangel durch Planwirtschaft abzuhelfen. Meine Ahnung wurde von ihrem Bericht übertroffen: Da in einigen Regionen, besonders auf fettem Marschland, die Populationen übermäßig zugenommen haben, mußte durch Auslese die Verdünnung der Rattenvölker beschlossen werden, vorerst im Weichselmündungsgebiet, wo aus Rußland und Indien

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