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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zugewanderte Völker siedeln, später wird das kaschubische Hinterland erfaßt, wo Altansässige, mit Deutschstämmigen gemischt, ihre Parzellen haben. Wir konzentrieren besonders kräftig geratene Jungtiere auf abgesondertem Gebiet... Stimmt! rief sie, du hast es erraten: Am Ort unserer Anlandung, wo immer noch das Schiffswrack festgemacht liegt und an Feiertagen besucht werden darf, auf der sogenannten Speicherinsel füttern wir selektierte Jungratten mit ausgewählten Kernund Kornqualitäten bis zur Übersätte und Schlachtreife. Da es uns gelungen ist, Speiseratten weit über Normalgewicht zu mästen, werden wir, selbst wenn außerhalb der Erntesaison Tauben knapp sind, demnächst gut mit Röstfleisch versorgt sein. Seitdem wir Garküchen führen, fehlt uns schon jetzt eigentlich nichts. Immer schmort, brutzelt was. Wir sollten zufrieden sein, uns bescheiden. Dennoch hat, weil die letzten Gersteernten überreich ausfielen, nun doch das Bierbrauen begonnen, wenngleich diese Neuerung im Rat der Neuschweden lange umstritten war. In der Zeughauspassage, auf einigen Beischlägen der Frauengasse und im Ratskeller wird ausgeschenkt. Mit Maß natürlich und immer unter Kontrolle. Gruppenbesäufnisse müssen genehmigt werden und finden unter Aufsicht statt. Doch als kürzlich der Tag des Großen Knalls gefeiert wurde es war der fünfundsiebzigste Jahrestag-, boten unsere Leute den anwesenden Rattendelegationen ein nur noch widerlich zu nennendes Schauspiel: in Horden torkelnd die Langgasse rauf und runter, der Neptunbrunnen verkotzt...
Das alles bereitet mir Sorgen, Liebster, sagte sie und war mir wieder nah auf der winzigen Orgelbank. Sie präludierte. Traurig klang das, nach Passion. Ach, Damroka!
    Auf der Suche nach Unterschied zum Getier wird gern als menschliches Sondervermögen die Liebe genannt.
Nicht Nächstenliebe, die Tieren geläufiger als dem Menschen ist, soll hier gemeint sein, vielmehr geht es um Tristan und Isolde, und andere exemplarische Paare,
die selbst unter Schwänen
nicht auszudenken sind.
So wenig wir vom Wal und seiner Kuh wissen,
Szenen wie zwischen Faust und Gretchen
wären diesen Großsäugern fremd,
wenn nicht unnatürlich.
Höher als des Hirsches Brunst steht das Hohelied Salomonis. Nichts Äffisches reicht an die Liebenden von Verona heran. Keine Nachtigall, nicht die Lerche, nur der Mensch liebt um jeden Preis, außerhalb der Saison, bis zum Wahn und über den Tod hinaus.
Wie man weiß, möchten die Liebenden
einander auffressen sogar.
Das stimmt, Liebste: mit Haut und Haaren sogleich. Vorher jedoch und bei Lautenmusik —
braten wir uns ein Doppelstück
saftig vom Schwein.
    Ich bitte dich, laß uns die Einladung annehmen. Schau, er hat Karten drucken lassen, ein wenig albern, in Sütterlinschrift. Es soll kein großer Auftrieb werden, nur allernächste Freunde. Dich hat er handschriftlich besonders erwähnt: »... und bringen Sie bitte Ihre Damroka mit...« Kleiden dürfen wir uns nach Laune und Lust. Um Antwort wird gebeten. (Malskat soll abgesagt haben, leider.)
Wir kamen zu früh. Vorerst nur wenige Gäste. Unter ihnen jene langbeinigen Damen seiner Wahl, die allzeit wie zivil gekleidete Krankenschwestern aussehen: soviel ermüdende Fürsorge. Sein Auftritt stand noch bevor. Damroka trug ihr Goldgelbes. Ich hatte mir als Geschenk die in Polen illegal gedruckte Übersetzung seiner Erinnerungen ausgedacht: eine Rarität in zwei Bänden auf armseligem Papier. (Die legale Ausgabe kam kürzlich erst auf den Markt und war rasch vergriffen.)
Nur wenige Herren aus der Produktion, sein Prokurist, die Damen vom Vertrieb, zwei japanische Geschäftsfreunde und etliche Filmemacher mit Namen, die ihm mehr oder weniger verpflichtet sind, unter ihnen ein ewiger Jüngling im Smoking und in Bergsteigerschuhen, der seinem Genie gerne in Urwäldern, Sandwüsten oder wie Luis Trenker einst auf überhohen Bergen Auslauf gibt. Dazu ein Professor besonderer Wahl und ein unrasierter Dichter, der stets finster blickte, obgleich seine kindlich anmutende Begleiterin ein wenig jener Maria Truszinski ähnelt, die als junges Ding, bevor sie Frau Matzerath wurde, gerne Holzperlen als Kette trug. Doch Maria, die tatsächlich kam und zum strammen Kostüm echte Perlen zeigte, nahm ihr Jugendbild nicht wahr, blieb vielmehr um ihren Sohn Kurtchen, diesen dicklichen Flegel besorgt, der sogleich aufs Büffet zusteuerte.
Noch immer stand sein Auftritt bevor. Halblaut wies ich Damroka in die nun annähernd komplette

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