Die Rättin
Niedergänge mittschiffs, zum Bugraum besetzt halten. Noch stehen drei der Schwedischmanipulierten aufrecht. Sie schwanken, halten sich aneinander. Es rührt zu sehen, wie sie mit schwachen Gesten die Mastratten auffordern, das Wrack zu räumen. Ihre weizenblonde Behaarung ist fahl, lehmig geworden und zottelt verfilzt; doch aus den zinkgrünen Jungratten wurden graubraune, schwarze dann: seit Beginn des Aufstandes dunkelten, schwärzten sie ein. So näherten sich die Rattenvölker wie rückläufig jener Gattung an, die zu Humanzeiten rattus rattus, die Schwarze Hausratte genannt wurde und Gerüchten zufolge den Menschen die Pest gebracht haben soll.
Wie nun als letzte meine Damroka schlappmacht sie geht auf die Knie, strähnig ihr Haar und über die anderen fällt, sind gleich darauf alle fünf von Ratten befallen schwarz. Ihr Fleisch schwindet. Sie zucken noch. Aber kein Wimmern, kein Wehklagen. Doch ist mir, als hörte ich Glockengeläut, schwächer jedoch, viel schwächer als bei Ankunft der Watsoncricks.
Mir träumte, ich dürfte Hoffnung fassen, den Krümel nur oder was sonst geblieben auf Tellern leergefressen und hoffen, daß etwas, keine Idee, eher ein Zufall,
freundlich genannt, unterwegs sei,
ohne an Grenzen zu stoßen,
und sich verbreite ansteckend,
eine heilsame Pest.
Mir träumte, ich dürfte hoffen wieder
auf Winteräpfel, die Martinsgans,
auf Erdbeeren Jahr für Jahr
und auf der Söhne beginnende Glatze,
der Töchter Ergrauen, der Enkel Postkartengrüße, hoffen auf Vorschüsse, Zinseszins, als hätte der Mensch wieder unbegrenzten Kredit.
Ich träumte, ich dürfte mir Hoffnung machen und suchte nach Wörtern, geeignet sie zu begründen, begründet mir träumend Hoffnung zu machen. Also probierte ich aus und sagte gute,
neue und kleine Hoffnung. Nach der vorsichtigen sollte es plötzliche sein. Ich nannte sie
trügerisch, bat sie, uns gnädig zu werden. Als letzte Hoffnung träumte sie mir, schwach auf der Brust.
Mir träumte, ich dürfte hoffen zuletzt: überall legt jeder den Zündschlüssel ab und bei offener Tür sind die Menschen einander sicher fortan. Es trog meine Hoffnung nicht: sein Brot
kaut niemand mehr ungeteilt; doch jene Heiterkeit die ich erhoffte, ist nicht von unserer Art:
lauthals lachen die Ratten uns aus,
seitdem wir mit letzter Hoffnung
alles vertan haben.
Na, hast du die eiserne Schrift gesehen? Und hast du sie buchstabiert? Mittschiffs stand sie viersilbig auf dem Wrack und wurde leserlich, als wir vom Deck weg Schluß machten. Da ist sie wieder und lacht. Eine der schwarzen Jungratten, die in den Weichselniederungen selektiert und zur Mast konzentriert wurden, ist meine Rättin: Wir haben das Sagen wieder! Nichts, kein Krümel ist von ihnen geblieben. Nur wir, siehst du, in Zukunft wir Ratten nur noch.
Ich sehe sich vermehrende Völker. Zu guter Letzt menschenfrei gibt ihnen die Erde Raum. Fischreich will die See wieder sein. Auf den Hügeln hinter der Stadt wachsen die Wälder dicht. Vögel nutzen den Himmel. Neues, zuvor nie geahntes Getier tritt hervor, darunter endlich die säugenden Schmeißfliegen. Das alte Danzig jedoch zerfällt. Es bröckeln die reichgeschmückten Fassaden. Türme stürzen geborsten. Gotische Giebel neigen sich, kippen weg. Langsamer Verfall, jeder Backstein, Sankt Marien, alle Kirchen geben sich auf. Und wie sie den Schlußstrich zieht, sagt die Rättin: So wurde des Menschengeschlechts schlimmster Gedanke gelöscht. Seine letzte Ausgeburt ist vertilgt. Was jene Schrift aus Eisen sagt, haben wir geübt, nicht der Mensch. Nichts zeugt von ihm, das fortleben könnte.
Mein übliches Nein. Es könnte doch sein, Rättin, ich bitte dich, daß wir mit letzter Hoffnung...
Ach ja, dich hatten wir ganz vergessen in deiner Kapsel ewiglich um und um. Na, neue Pläne, Termine?
Sie sagt: Warum nicht! Da es ihn nicht mehr gibt, sollte der Mensch sich Hoffnung noch und noch machen dürfen, damit unsereins was zu lachen hat, wenn wir euch bei Gelegenheit träumen...
Der Rest geht in Gelächter unter, das sich zu erdumlaufender Heiterkeit auswächst. Ungezählt vielschwänzige Würfe und Wurfeswürfe, denen ich Spaß mache.
Trotzdem, sage ich, bleibt Hoffnung genug, daß nicht ihr geträumten Ratten, sondern in Wirklichkeit wir...
Wir Ratten sind wirklicher, als dir träumen könnte.
Aber es muß doch trotz allem...
Nichts muß mehr, nichts.
Ich will aber, will wieder...
Was denn, was?
Nur angenommen, es gäbe uns Menschen noch... Gut, nehmen wir an.
... doch
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