Die Rättin
sprechenden Plattfisch, die Meereskundlerin und die Maschinistin aus dem ehemaligen Lastraum des Motorewers, wo sie den letzten Quallenhol vermessen haben. Kaum an Deck, ruft die Maschinistin: »Hör bloß mit dem Mist von gestern auf!«
Die Meereskundlerin sagt: »Und hör auf zu jammern. Uns kommt kein Mann an Bord. Reicht Dir das nicht?«
Aus der Kombüse ruft die Alte: »Butt oder nicht Butt, hier war schon immer was los! Laßt uns hier ankern.«
Während die Kapitänin den Motor drosselt, abstellt, dann folgsam beide Anker wirft, als habe von nun an die Alte das Kommando, zieht die Meereskundlerin ihre Klarsichthandschuhe ab. Sie wirft das Wegwerfzeug über Bord und weist nacheinander in Richtung Pelzerhaken, Neustadt, Scharbeutz: »Da lagen sie, drei Schiffe. Ich trug Zöpfchen mit Propellerschleifen und war gerade zwölf, als die >Thielbeck<, die >Cap Arcona< und die >Deutschland< hier ankerten. Uns hatte man von Berlin wegevakuiert. Zweimal ausgebombt waren wir. Das war im April fünfundvierzig, kurz vor Schluß. Die Schiffe lagen da jeden Morgen, wenn ich zur Schule ging. Die sahen aus wie gemalt. Und am Küchentisch hab ich sie auch gemalt. Mit Buntstiften, alle drei. Die Erwachsenen sagten: Da sind Kazettler drauf. Als mich meine Mutter am dritten Mai nochmal in die Stadt schickte, weil es in Neustadt Zucker auf Marken gab, sah ich vom Strand aus, daß mit den Schiffen was los war. Die qualmten. Die wurden angegriffen. Heute weiß man ja mehr: die Kazettler kamen aus Neuengamme und paar Hundert aus Stutthof. Und angegriffen wurden die Schiffe von britischen Typhoons. Die waren mit Raketen bestückt. Vom Strand aus sah das putzig aus, wie ne Übung. Jedenfalls brannte die >Cap Arcona< und kenterte später. Die >Deutschland<, auf der keine Kazettler waren, wurde versenkt. Die >Thielbeck<, auf der Häftlinge Bettlaken als Weiße Fahnen gehißt hatten, kenterte brennend und wurde auf Grund gesetzt. Natürlich sah man vom Strand aus nicht, was in den Schiffsbäuchen passierte. Kann man sich auch kaum vorstellen. Auch wenn ich später noch lange mit Buntstiften brennende Schiffe gezeichnet habe, oh Gott! Jedenfalls waren vor dem Angriff an die neuntausend Häftlinge an Bord der >Arcona< und >Thielbeck<. Von denen sind täglich gut dreihundert verhungert. Und etwa fünftausendsiebenhundert Kazettler das waren Polen, Ukrainer, Deutsche, und Juden natürlich verbrannten, ertranken oder wurden, wenn sie schwimmend ans Ufer kamen, am Strand einfach abgeknallt. Von SS-Männern und Marinekommandos. Das hab ich gesehn, als ich zwölf war. Stand da mit meinen Zöpfen und guckte. Standen auch viele Erwachsene aus Neustadt da und guckten zu, wie die Kazettler, kaum aus dem Wasser, bibbernd noch abgeknallt wurden. Die wollen natürlich nichts gesehen, nichts gehört haben, bis heute. Und auch in England redet kein Schwein davon. War ein Unglücksfall, fertig. Zwei Jahre lang trieben Leichen an und störten den Badebetrieb. War ja gleich darauf Frieden. Und auch die Wracks lagen noch lange in Sicht, bis man sie abschleppte zum Verschrotten.«
Während die Meereskundlerin weiß, wie der Gauleiter von Hamburg und die Kapitäne der Schiffe hießen, blicken die Frauen über die See, der nichts anzumerken ist. Bei Windstille regnet es leicht, wie oft in diesem verregneten Sommer. Aus der Kombüse sagt die Alte: »Na klar, sowas paßt nicht in die Geschichte. Ne dumme Panne. Das stört. Sowas vergißt man. Schwamm drüber! sagte man früher. Essen wir nun? Klopse gibt es mit Röstzwiebeln zu Stampfkartoffeln und Gurkensalat.«
Weil es nichts mehr zu sagen gibt, holt die Kapitänin beide Anker ein und ruft den Kurs aus: offene See. Wie gut, daß der Motor folgsam anspringt. Neben der Steuermännin hält sich Damroka an ihrem Kaffeepott fest. »Bloß weg hier!« sagt sie, mehr nicht, hat aber das eigentliche Ziel der Reise, das nur sie kennt, im Blick; und auch ich wünsche, daß die Frauen ablassen von der Vergangenheit und einzig wieder auf Ohrenquallen fixiert sind.
Zum Essen wird mittschiffs der Tisch geräumt, auf dem zuvor Tabellen mit Meßdaten lagen. Alle müssen die Klopse, die Köchin loben. Gerede über das Wetter und den verregneten Sommer. Wie gut, daß nichts nachhallt. Zu Klopsen mit Stampfkartoffeln trinken die Frauen aus Flaschen Bier. Sobald sie gegessen hat, holt die Kapitänin die Steuermännin vom Ruder.
Später erst, nachdem ihnen die flache Insel Fehmarn vergangen ist, sammeln sich alle an Deck und bringen ihr
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