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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nicht, wohin mit sich.
Da machte es einen Krieg, weil es überall
auf der Welt sein wollte und wurde klein davon. Nun gab es sich eine Idee, die Stiefel trug,
gestiefelt als Krieg ausging, um die Welt zu sehen, als Krieg heimkam, harmlos tat und schwieg, als habe sie Filzpantoffeln getragen,
als habe es auswärts nichts Böses zu sehen gegeben. Doch rückläufig gelesen, konnte die gestiefelte Idee als Verbrechen erkannt werden: so viele Tote. Da wurde das Land, das Deutsch hieß, geteilt. Nun hieß es zweimal und wußte,
so schön gehügelt und flach es war,
immer noch nicht, wohin mit sich.
Nach kurzem Bedenken bot es für einen dritten Krieg sich beiderseits an.
Seitdem kein Sterbenswort mehr, Friede auf Erden.
    Es war einmal ein Maler, der sollte als Fälscher berühmt werden. Und schon, kaum begonnen, stimmt die Geschichte nicht, denn er fälschte nie, sondern malte beidhändig gotisch fürwahr. Wer das nicht glaubt, dem hilft kein Gutachten. Im Jahr 1913 wurde unser Maler in der ostpreußischen Stadt Königsberg am Fluß Pregel geboren. Als Sohn eines Antiquitätenhändlers wuchs er zwischen nachgedunkelten Ölbildern unechten Stücken, wie unter Firnisschichten, immer dem Holzwurm nah, im Staub zwischen Trödel auf. Er sah dem Vater zu, der es verstand, Votivtafeln und Bildchen holländischer Kleinmeister unter der Hand altern zu lassen. Nach Abschluß der Volksschule ging er bei einem Stubenmaler in die Lehre, lernte, was es an Handwerk zu lernen gab, und kopierte nach Feierabend norddeutsche Tafeln aus dem vierzehnten Jahrhunden. Früh schon fand der Lehrling Geschmack an gotischem Schmerz und gotischer Süße.
Die Familie Malskat so hieß der Vater unseres Malers wohnte in Königsbergs Flinsenwinkel.
Der Fluß Pregel floß ins Frische Haff, das sich bei Pillau zur Ostsee öffnete. Heute heißt Königsberg Kaliningrad, und auch der Fluß heißt anders. Den Flinsenwinkel gibt es nicht mehr. Nur immer brüchiger werdende Erinnerungen gibt es, außerdem Bücher, die der sein Lebtag lang in Königsberg ansässige Philosoph Immanuel Kant vergeblich geschrieben hat, dazu schmackhafte Gerichte, die nach der Stadt benannt wurden Klopse etwa in süßsaurer Kapernsoße -, und ostpreußische Namen wie Kurbjuhn, Adromeit, Margull, Tolkmit und Malskat gibt es. Diese Namen sind pruzzischer Herkunft. Sie wurden von den Pruzzen, die man ausgerottet hat, damit Preußen entstehen konnte, unverfälscht übernommen; weshalb hier, bevor von Fälschungen und am Ende vom Bildfälscherprozeß die Rede sein wird, gesagt werden muß: Der Name Malskat ist echt.
Nach kurzem Besuch einer Kunstgewerbeschule, auf der ihm in Sachen Gotik nichts Neues beigebracht wurde, ging Lothar Malskat mit fellbespanntem Tornister auf Wanderschaft. Er lief in Knickerbockern auf Sandalen, soll bis Italien gekommen sein und lernte, daß hinterm Berg Berge sind und Gelegenheiten nicht häufig. Einer der vielen wandernden Handwerker und Fechtbrüder war er, die Mitte der dreißiger Jahre Klinken putzten, hier einen Stall ausbesserten, dort Teppiche klopften, nur selten satt in den Tag hinein lebten und ohne feste Adresse unterwegs waren, als in Berlin, dann in ganz Deutschland Geschichte gemacht wurde; von der hielt Malskat nicht viel. Dennoch schlug ihm in der Reichshauptstadt die Stunde. Auf der Suche nach Arbeit lernte er in Berlin-Lichterfelde den als Restaurator bekannten Kunstprofessor Ernst Fey kennen. Gegen warme Suppen und Taschengeld durfte er dessen Gartenzaun streichen, eine Tätigkeit, die Gedankenflucht erlaubte: ein Gesichtchen, zum Anhimmeln hübsch, wurde mal traurig, mal neckisch zum Bild, das auch nach Feierabend und erstem Anstrich des Gartenzauns greifbar blieb; Malskat ging damals oft ins Kino, wo er die beliebte Schauspielerin Hansi Knoteck zuerst in »Schloß Hubertus«, dann immer wieder sah, bis sie sich ihm dergestalt stilbildend eingeprägt hatte, daß ihre spätere Wirkung auf gotische Wandbilder in norddeutschen Backsteinkirchen niemanden verwundern sollte. Jedenfalls erkannte der Restaurator sogleich des Anstreichers Begabung besonderer Art. Mag sein, daß Malskats eulenspiegelhafte Nase, der seherische Schwung seiner Brauen und die demütige, wenn nicht beseelte Hingabe an jede einzelne Zaunlatte den Kunstprofessor zusätzlich bestimmt haben.
Im Frühling sechsunddreißig durfte er mit Feys Sohn, der Dietrich hieß und allseits mit langen Wimpern und schmalem Langschädel faszinierte, im hellgelben DKW-Sportwagen nach

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