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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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versprochen. Das werde, habe der Butt gesagt, allen Frauen offenstehen. Als er mit Damroka, der Kapitänin, auf plattdeutsch gesprochen hat, soll es geheißen haben: »Nu, Wiebkes, sullt ji tuunners gohn.«
In ihren fünf Hängematten mögen die Frauen vielfarbig von Vineta träumen. Dicht bei dicht, wie sie liegen, wird ihnen, wenn sie nur wollen, ihr Frauenreich greifbar. Nur leicht hebt und senkt sich der Motorewer. Festgemacht liegt das Schiff im Hafen von Stege: kurz vor der Brücke zur Innenstadt, am Anleger der Zuckerfabrik. Im Hintergrund ein Berg Koks und blaßgrüne Silos. Faulig riecht das Flachwasser. Zu viele Algen. Quallen zuhauf.
Alle fünf schlafen. »Auf Møn«, hat Damroka gesagt, »brauchen wir keine Wache.« Sie liegen, wie ich es wünsche: Die Alte, die im Schlaf brabbelt und schimpft, eingerollt in der Mitte, steuerbord die Steuermännin mit offenem Mund, backbord Damroka auf ruhigem Rücken, zwischen ihr und der Alten die Meereskundlerin: seitlich gekauert, und zwischen der Alten und der Steuermännin wälzt sich unruhig die Maschinistin.
Morgen wollen die Frauen einen Stadtbummel machen. In Stege ist Ausverkauf. Die Vorräte müssen erneuert werden. Nicht nur die Wolle ging zur Neige. Die Alte weiß noch nicht, ob sie mit will.
Utopia Atlantis Vineta. Doch diese Stadt soll es wirklich als wendische Siedlung gegeben haben. Die einen sagen, vor Usedoms Küste versunken; doch polnische Archäologen graben und finden Mauerreste, Scherben, arabische Münzen neuerdings auf Wollin. Vineta hieß anfangs anders. Es sollen in dieser Stadt während langer Zeit die Frauen das Sagen gehabt haben, bis eines Tages die Männer mitreden wollten. Die alte Geschichte. Am Ende führten die Herren das Wort. Gepraßt wurde und goldenes Spielzeug den Kindern geschenkt. Worauf Vineta mit all seinem Reichtum unterging, auf daß die versunkene Stadt eines Tages erlöst werde: von Frauen natürlich, fünf an der Zahl, deren eine wendischen Ursprungs sei und Damroka heiße.
    Sie ist schläfrig tagsüber und rollt sich ein: abgewendet meinen Geschichten. Doch hört sie gerne mit mir das Dritte Programm. Es bietet: Am Morgen vorgelesen, Schulfunk für alle, festliche Barockmusik, zwischendurch Nachrichten, den Medienreport, später das Echo des Tages, dann wieder Barockmusik, geistliche diesmal.
Erstaunlich ihr Interesse an Wasserständen. Hörenswert ist ihr, daß der Stand der Elbe bei Dessau eins acht null unverändert geblieben, bei Magdeburg auf eins sechs null plus eins gestiegen ist. Täglich hört sie, wie hoch die Saale bei HalleTrotha steht, dann die Peiltiefe von Geesthacht bis Fliegenberg. Doch ohne Interesse ist meine Weihnachtsratte, wenn, was aktuell ist, gemeldet wird. Überall laufen ungelöst Probleme herum. Einzig Krisen wird Wachstum nachgesagt; und meine junge, ohne Schwanz etwa zeigefingerlange Ratte wächst wie die Krisen, die, weil sie so dicht bei dicht engliegen, miteinander verwachsen sind und bildlich gesprochen den sogenannten Rattenkönig bilden.
Zum Beispiel werden im Medienreport die jüngsten Besorgnisse über das Kabelfernsehen durch noch größere aufgewogen, die dem Satellitenfernsehen hinterdreinhinken. Unser Herr Matzerath, der auf großer Schiefertafel gern einen allumfassenden Medienverbund entwirft, sagt dazu: »Glauben Sie mir, schon morgen schaffen wir uns eine Wirklichkeit, die durch medialen Eingriff der Zukunft alles Vage und Zufällige nimmt; was immer kommen wird, es läßt sich vorproduzieren.«
Und wie, Ratte, steht es mit unserem Medienverbund? Nachts träumst du mir ausgewachsen mit fettem Schwanz. Aber auch meine Tagträume sind nicht rattenfrei. Es ist, als wolltest du überall, sogar dort, wo ich meinte, hinterm Zaun und privat zu sein, Duftmarken setzen, dein Revier abstecken, mir Ausflucht sperren.
Schweigen muß das Dritte Programm. Kein Schulfunk für alle: Kernspaltung kinderleicht gemacht; vielmehr schreibe ich, seitdem der Motorewer »Die Neue Ilsebill« im Hafen von Stege festliegt, auf langer Liste nieder, was unser Herr Matzerath nach Polen mitnehmen könnte, denn endlich hat er für sich und seinen Chauffeur Visa-Anträge gestellt.
Außer den Geburtstagsgeschenken für seine Großmutter soll ein Säckchen blauweißer Plastikzwerge zum Reisegepäck gehören. Die vielen Schlümpfe werden die kleinen, immer wieder nachwachsenden Kaschubenkinder erfreuen.
Außerdem weiß ich, wie Anna Koljaiczeks hundertundsiebter Geburtstag vorbereitet wird. Zucker und Mehl in

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