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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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vom Erlös gespeicherter Träume, von allem, was auf Papier steht, erinnert zum Gleichnis, als Roß und Reiter Denkmal wurde. Abschied von allen Bildern, die sich der Mensch gemacht hat. Abschied vom Lied, dem gereimten Jammer, Abschied von den geflochtenen Stimmen, vom Jubel sechschörig, dem Eifer der Instrumente,
von Gott und Bach.
Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen
vom kahlen Geäst,
von den Wörtern Knospe, Blüte und Frucht,
von den Zeiten des Jahres, die ihre Stimmungen satt haben und auf Abschied bestehen.
Frühnebel. Spätsommer. Wintermantel. April April! rufen, noch einmal Herbstzeitlose und Märzbecher sagen, Dürre Frost Schmelze.
Den Spuren im Schnee davonlaufen. Vielleicht sind zum Abschied die Kirschen reif. Vielleicht spielt der Kuckuck verrückt und ruft. Noch einmal Erbsen aus Schoten grün springen lassen. Oder die Pusteblume: jetzt erst begreife ich, was sie will.
    Ich träumte, ich müßte von Tisch, Tür und Bett
Abschied nehmen und den Tisch, die Tür und das Bett belasten, weit öffnen, zum Abschied erproben.
Mein letzter Schultag: ich buchstabiere die Namen der Freunde und sage ihre Telefonnummern auf: Schulden sind zu begleichen; ich schreibe zum Schluß meinen Feinden ein Wort: Schwamm drüber oder:
Es lohnte den Streit nicht.
Auf einmal habe ich Zeit.
Es sucht mein Auge, als sei es geschult worden,
Abschied zu nehmen, rundum Horizonte, die Hügel hinter den Hügeln, die Stadt
auf beiden Seiten des Flusses ab,
als müßte erinnert verschont gerettet werden, was auf der Hand liegt: zwar aufgegeben, doch immer noch dinglich, hellwach.
    Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen von dir, dir und dir, von meinem Ungenügen, dem restlichen Ich: was hinterm Komma blieb und kümmert seit Jahren.
Abschied von sattsam vertrauter Fremde,
von den Gewohnheiten, die sich Recht geben höflich, von unserem eingeschrieben verbrieften Haß. Nichts war mir näher als deine Kälte. So viel Liebe genau falsch erinnert. Am Ende
war alles versorgt: Sicherheitsnadeln zuhauf. Bleibt noch der Abschied von deinen Geschichten, die immer das Bollwerk, den Dampfer suchen, der von Stralsund, aus der brennenden Stadt beladen mit Flüchtlingen kommt;
und Abschied von meinen Gläsern, die Scherben, allzeit nur Scherben, sich selbst als Scherben
im Sinn hatten. Nein,
keine Kopfstände mehr.
    Und nie wieder Schmerz. Nichts,
dem Erwartung entgegenliefe. Dieses Ende
ist Schulstoff, bekannt. Dieser Abschied
wurde in Kursen geübt. Seht nur, wie billig
Geheimnisse nackt sind! Kein Geld zahlt Verrat mehr aus. Zu Schleuderpreisen des Feindes entschlüsselte Träume. Endlich hebt sich der Vorteil auf, macht uns
die Schlußrechnung gleich,
siegt zum letzten Mal die Vernunft,
ist ohne Unterschied alles,
was einen Odem führt, alles, was kreucht
und fleucht, alles, was noch
ungedacht und was werden sollte vielleicht,
am Ende und scheidet aus.
    Doch als mir träumte, ich müßte
von jeglicher Kreatur, damit von keinem Getier, dem einst Noah die Arche gezimmert,
Nachgeschmack bliebe, Abschied nehmen sofort, träumte ich nach dem Fisch, dem Schaf und dem Huhn, die mit dem Menschengeschlecht alle vergingen, eine einzelne Ratte mir, die warf neun Junge und hatte Zukunft für sich.
    Wir nicht! Sie zischelte, leugnete, stritt ab. Nie in uns selbst vergafft. Ungespiegelt waren wir uns genug. Kein Quatsch, dem wir Tiefsinn nachsagten, kein Ziel, das außer uns lockte, uns steigerte, enthob: die Überratte, es gab sie nicht! Und keine vielstöckigen Denkgehäuse, in denen wir transzendierten bis zu den Sternen hoch in den hellen Wahn der Unsterblichkeit. Frei von diesen humanen Faxen sind wir zahlreich gewesen, ohne uns je gezählt zu haben. Uns fehlte das Bewußtsein eigenen Seins, ein Mangel, der uns nicht darben ließ.
Mochten wir noch so beispielhaft für Gleichnisse taugen, wie sie der Mensch ins Bild zwängte, sobald er Plagen, etwa die biblischen beim Namen rief, uns ergab sich kein Beispiel, niemand konnte uns vorbildlich werden, gewiß kein anderes Getier, doch auch der Mensch nicht, dem wir anhingen seit Rattengedenken, der uns verwunderte zwar, doch nicht zum Gott wurde, solange es ihn tatsächlich und seinen Schatten werfend gegeben hat.
Erst als er ging, begannen wir ihn zu vermissen. Nicht nur die Vorräte und Abfälle seiner Küche fehlten uns roh und gekocht, auch seine Ideen, die wir alle, buchstäblich alle gefressen hatten, mangelten fortan sehr; gerne hätten wir, wie gewohnt, seinem Überfluß bildlich das Speibecken

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