Die Rättin
epochales Kunstwerk.
Insgesamt wurde des Malers Arbeit, ohne daß sein Vorund Nachname und sei es in Klammern nur zu lesen stand, in zahlreichen Gutachten gewürdigt, mehr noch, zur »artreinen Kunst« erhoben. Besonders deutschstämmig nannte man die nordisch anmutenden Köpfe in den Leibungen und Strebpfeilern und einige germanische Runenzeichen, die Malskat, auf Wunsch von Fey, der dem Zeitgeist der späten dreißiger Jahre gefällig sein wollte, in den Putz der Freifelder und ins Umfeld seines Salvator Mundi gekratzt hatte: »Der Toten Tatenruhm«, und ähnlichen Blödsinn stabgereimt.
Erwähnt sei, daß sich, allen Experten voran, ein Kunsthistoriker namens Hamkens an den willensstarken Blicken der heiligen Heldenköpfe, an deren Langnasen und nordisch ausgeprägten Kinnpartien in Fachzeitschriften erfreute. Gleich nach Entstehen der zügig gealterten Malerei, die Malskat übrigens eine spürbare Stundenlohnerhöhung eintrug, ließ Hamkens die arischen Köpfe fotografieren, worauf diese unbestritten echte Fotosammlung, auf Weisung des Reichsführers SS, vom Kuratorium »Das deutsche Ahnenerbe« angekauft und in Wanderausstellungen gezeigt wurde.
Malskats Werk fand Beachtung. Und kaum noch zu korrigierende Folgen hatte jener Tierfries, der ihm im Kreuzgang des Domes als Abschlußleiste der Kindermordszene eingefallen war; denn nicht Hirsche und Hähne, auch nicht Greife und Steinböcke, wie unter dem anrührenden Motiv: Hansi Knoteck als Jungfrau mit Kind, sondern deutlich als Truthähne erkennbare Truthähne hatte Malskat in vier von sieben Medaillons gemalt. In den restlichen drei Rundfeldern waren, dank Scherbe, Drahtbürste und Puderbeutel, nur Geflügelspuren geblieben.
Doch die vier heilen Truthähne reichten. Der Beweis war erbracht. Endlich stand fest, was bisher als Vermutung fraglich gewesen oder als völkisches Wunschbild belächelt worden war. Dank Malskat kam historische Wahrheit ans Licht. Bewies diese frühgotische Malerei doch, daß nicht der welsche Kolumbus, sondern die Wikinger schon, Germanen also, Nordmänner mit langen Nasen und ausgeprägtem Kinn das eindeutig amerikanische Geflügel nach Europa gebracht hatten; fortan mußten Malskats Truthähne, diese einfache, in rotbraun gehaltene, mit sicherem Blick hingesetzte Konturmalerei, in vielen gelehrten Gutachten für die fällige Neuschreibung der Geschichte herhalten. Ab Frühjahr neununddreißig, über den Kriegsbeginn im folgenden Herbst hinweg, solange gesiegt wurde, aber auch unbekümmert um die Schlacht von Stalingrad, um die Zertrümmerung der Städte und die Folgen der Invasion bis gegen Kriegsende hielt der sogenannte Truthahnstreit der Experten an; ich bin sicher, unter der Decke lebt er noch heute fort.
Dabei hat Malskat seine frühbis hochgotischen Neuschöpfungen von Anbeginn mit abkürzenden, sprachvermengenden Buchstaben t. f. L. M. totum fecit Lothar Malskat signiert, wenn auch in Arabesken versteckt und leicht übermalt. Er war kein Fälscher. Die anderen, die ihn später, zur Zeit der staatserhaltenden Großfälschungen, verklagten und bestraften, waren inmitten der fünfziger Jahre die wahren Täuscher. Die sind noch immer, wenn nicht im Amt, so doch in Würde. Sie zwinkern einander zu und hängen sich Orden an. Ihre Weine und Leichen gut eingekellert.
Es war einmal ein Land, das hieß Deutsch...
D ASVIERTEKAPITEL, indem Abschied genommen wird, ein Vertrag reifzur Unterschrift vorliegt, Hänselund Gretelankommen, Rattenköttelgefunden werden, Sonntagsstimmung herrscht, Ultimo ist, einige Goldstücke überzählig sind, Malskat zu den Soldaten muß,es schwerfällt, von den Frauen zu lassen, und das Schiff vor Kreidefelsen ankert.
Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen
von allen Dingen, die mich umstellt haben
und ihren Schatten werfen: die vielen besitzanzeigenden Fürwörter. Abschied vom Inventar, dieser Liste diverser Fundsachen. Abschied
von den ermüdenden Düften,
den Gerüchen, mich wachzuhalten, von der Süße, der Bitternis, vom Sauren an sich
und von der hitzigen Schärfe des Pfefferkorns. Abschied vom Ticktack der Zeit, vom Ärger am Montag, dem schäbigen Mittwochsgewinn, vom Sonntag und dessen Tücke, sobald Langeweile Platz nimmt. Abschied von allen Terminen: was zukünftig
fällig sein soll.
Mir träumte, ich müßte von jeder Idee, ob tot
oder lebend geboren, vom Sinn, der den Sinn hinterm Sinn sucht,
und von der Dauerläuferin Hoffnung auch
mich verabschieden. Abschied vom Zinseszins der gesparten Wut,
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