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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Schleswig an der Schlei fahren. Das ist eine Stadt, nach der das Land zwischen Nordund Ostsee zur Hälfte benannt ist. Dort, im Dom, wartete Arbeit auf die beiden.
Vom schönen Dietrich, der sich allerorts in der Domstadt, besonders sensibel aber im Musikzimmer des Pastorats glaubwürdig zu machen verstand, weshalb er bald einen Kranz Pastorentöchter um sich versammelt hatte, lernte Malskat, dem Filme unterhaltsamer blieben, in denen Hansi Knoteck Hauptund Nebenrollen spielte, einzig ein Kunststück: jene besondere Farbe anzurühren, die rotbraun für die Konturen im Kreuzgang am Schwahl des Domes geeignet war. Ganz aus sich aber lernte er, aus dem Handgelenk Altes neu zu malen und Neugemaltes mit Hilfe eines Scherben und einer Stahldrahtbürste altern zu lassen. Den Rest besorgte ein Puderbeutel, den zermahlener Kalkmörtel füllte.
Schnell mußte Malskat malen, denn kaum waren die rotbraunen Konturen auf dem Putz der Kreuzgangfelder angetrocknet, hatten sie schon ihre gotische Herkunft zu beweisen. Ermuntert von erkennbaren Resten des ursprünglichen Bildes, gelang ihm eine in sich geschlossene, schwungvoll beherrschte, im Großen kühne, im Detail überraschende Konturenmalerei auf neun von zehn Feldern; das letzte Feld nach Westen hin blieb leer. Er malte die Heiligen Drei Könige und die Anbetung, Johannes den Täufer und den Kindermord zu Bethlehem, die Flucht nach Ägypten, den Judaskuß, die Geißelung und was sonst noch einen Kreuzgang vollzählig macht. Jedes Spitzbogenfeld schloß er zuunterst mit einem Tierfries, jenes etwa, das die Geißelung zeigt: Hähne und Hirsche lösen einander in Medaillons ab; Adler und Löwen unter dem Judaskuß. Doch was das vierte Feld, von Westen nach Osten gezählt, als Fries begrenzt, hat Geschichte gemacht, das heißt Streit ausgelöst, und wird hier besonders erwähnt werden.
Während der schöne Fey den Pastorentöchtern sensibel bestückte Blumenkörbchen verehrte und junge Damen zu Bootsfahrten auf der Schlei einlud, hat Malskat außerdem im Domchor zu Schleswig ganze Arbeit geleistet. In die Fensterleibungen um den Hochaltar und in die Fluchten der Strebpfeiler malte er rasch sechsundzwanzig Köpfe, die er in Medaillons faßte, darunter einen Kopf, der ihn mit langer Nase, kühn geschwungenen Brauen und einer Zigarette hinterm Ohr abbildet, die, wenngleich gut versteckt, dennoch bezeugt, daß Malskat in jenen Jahren die Marke Juno »Aus gutem Grund ist Juno rund!« bevorzugt hat.
Außerdem malte er rauchend das Personal seiner Jugendjahre am Pregelfluß in die lichtfangenden Leibungen und Pfeiler des hochgewölbten Altarraumes. Des Königsberger Lehrlings Skizzenbücher waren behilflich; fleißig von Anbeginn hatte er Altgesellen, immer wieder den Meister, die anderen Lehrlinge, aber auch Kunden in seines Vaters Antiquitätenhandel, etwa den Rechtsanwalt Maximilian Lichtenstein und den Sanitätsrat Jessner, gestrichelt, die nun, ideell immer schon da, auf Freifeldern Gestalt gewannen.
Danach ging Malskat den zur Frömmigkeit bestimmten Köpfen nach schon erprobter Methode zu Leibe: Scherbe und Drahtbürste halfen, annähernd siebenhundert Jahre Distanz herzustellen. Zum Schluß der Puderbeutel. Er ließ nicht nach, bis seine sechsundzwanzig Heiligenköpfe, zwar leicht lädiert und mit zernagten Konturen, dennoch glaubensstark Blicke aus gotischer Frühzeit in den Altarraum und ins mittlere Kirchenschiff warfen. Den letzten Kopf fertigte er am dritten Mai achtunddreißig. Während draußen Schlag auf Schlag Geschichte gemacht wurde, auf daß Deutschland immer größer geriet, feierte Lothar Malskat hoch im Gerüst seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag; erst am Abend war er mit Fey im Pastorat des Domes geladener Gast: umringt von Pastorentöchtern, die, wenn nicht Gudrun oder Freia, dann Heike, Dörte oder Swantje hießen.
Waldmeisterbowle gibt es. Verlegen sehen wir ihn, fehl am Platze. Wenn Malskat nicht ins Kino ging, zerstreute er im Fischerviertel, zur Schlei hin seine restliche Zeit. Damals lief mit der Knoteck »Das Mädchen vom Moorhof«.
Auch jener bis zur Genickstarre zu bestaunende Salvator Mundi im romanischen Mittelschiffgewölbe des dreischiffigen Doms ist von seiner Hand und ansehnlich bis heutzutage: eine vieldeutige, den Regenbogen nach der Sintflut einbeziehende Komposition, deren widersprüchliche Stilmerkmale dennoch ein Ganzes bilden, weshalb sie den Kunsthistorikern knifflige Rätsel aufgaben. Schließlich nannten sie Malskats Salvator Mundi ein

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