Die Rättin
verwunschene Menschen. Fragen Sie den Froschkönig, der im Brunnen, gleich neben dem Knusperhäuschen wohnt und in Ihrem Film offenbar nur Statist sein darf...«
Hier muß unser Herr Matzerath unterbrechen. Deutlich waren im Autotelefon das bekannte Geräusch, zugleich die Bremsen, danach der Fluch des Chauffeurs zu hören. Kurz vor Helmstedt hat »Typisch«, sagt Bruno ein BMW-Fahrer beim Überholen einen Unfall verursacht. Gottseidank muß, bald zur Stelle, die Polizei über Funk keine Ambulanz anfordern. Als »zänkisches Paar, Mitte dreißig« wird mir die Gegenseite beschrieben.
»Kein gutes Vorzeichen!« unke ich.
»Nichts, was uns abhalten könnte!«
»Sie sollten wenden, kehrtmachen schleunigst!«
»Ach was!« ruft unser Herr Matzerath. »Die üblichen Blechschäden. Ein Stündchen Zeitverlust. Wir werden mit einer Beule und etlichen Kratzern in Polen einreisen, was allerdings einem Mercedes schlecht zu Gesicht steht. Ärgerlich diese infantilen Beschleuniger! Doch um beim Thema zu bleiben: warum in Zukunft nicht Rattenmenschen! Der Maler Malskat hätte kaum Bedenken gehabt.«
Der konnte vorerst keine gotischen Dome, Kreuzgänge, Querschiffgewölbe und Strebpfeiler ausmalen, weil in allen Himmelsrichtungen Krieg herrschte. Nachdem er in Lübecks Heiliggeisthospital unterm Lettner der Vorhalle eine schadhafte Caseinbindermalerei aus dem 19. Jahrhundert, die für echt gotisch angesehen wurde, abgewaschen und durch seine rasch alternde Gotik ersetzt hatte und weitere Aufträge der Firma Fey im schon besetzten Oberschlesien erledigt waren, kam Malskat zu den Soldaten.
Die längste Zeit gehörte er den Besatzungstruppen in Nordnorwegen an, wo er es wacheschiebend zum Obergefreiten brachte. Er ist, soviel ich weiß, nie zum Schuß gekommen. Weder Befehlsverweigerung noch verschärfter Arrest. Kein Orden wurde ihm angehängt, nichts Heldisches ist zu melden, kaum Anekdoten.
»Er war ein schlechter Soldat, aber ein interessanter Mensch«, sagten Mitte der fünfziger Jahre ehemalige Landser aus, die, auf Antrag des Verteidigers Flottrong, beim Lübecker Bildfälscherprozeß als Zeugen vernommen wurden. Schon damals habe sich Malskat über den Truthahnstreit der Kunsthistoriker lustig gemacht. Für jeden, der ihn darum bat, doch nie für Offiziere, habe er am laufenden Band Exemplare dieses Geflügels gezeichnet. Leider sei sein von Malskat signiertes Truthahnblatt beim Rückzug verlorengegangen, bedauerte einer der Zeugen. Ein besonderes Vergnügen der Stubenkameraden sei es gewesen, wenn ihnen Malskat während langer Winternächte aus einem Buch vorgelesen habe, in dem ein Kunstprofessor die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger mit dem Truthahnfries begründete. Zum Wiehern komisch sei das gewesen.
Nach anderen Aussagen hat Malskat die Innenseite der Tür seines Militärspindes mit dem Foto der in Friedensund Kriegszeiten beliebten Filmschauspielerin Hansi Knoteck geschmückt. Nun sei ja während des Krieges in jedes Soldaten Spind eine fotografierte Schauspielerin Vorlage für dies und das gewesen, aber Malskat habe gesagt, die Knoteck verkörpere Besonderes, nach ihrer Vorlage seien eine Menge gotischer Madonnen, Engel und Heilige zu Konturen gekommen, außerdem habe er sie verehrt und keinen Film mit ihr ausgelassen. Der Maler hat im Verlauf seines Lübecker Prozesses gestanden, er sei dem hübschen Filmstar auch nach dem Krieg treu geblieben, zuletzt habe er die Knoteck in »Die fidele Tankstelle« und »Heimatglocken« erlebt und zwar mehrmals, was man seinen Wandbildern im Hochchor und im Langhaus der Marienkirche ansehen könne.
Bildvergleiche bewiesen, außer der Ähnlichkeit, Malskats Gabe der expressiven Steigerung: dem eher braven Gesichtchen zwang er Schmerz und inneres Feuer ab. Nicht nur die im Feld I des Chores berühmt gewordene Maria mit dem Kinde, auch die Gottesmutter in der Kreuzigungsgruppe des Langhauses, desgleichen Maria Magdalena, deren Kopf durch eine Fehlstelle am linken Auge zum Fragment gesteigert wird, und die Verkündigungsmaria mit Taube sind allesamt gotische Schwestern jener Leinwandschönheit, deren Bild ein Standfoto übrigens aus der Operettenverfilmung »Heimatland« vier Jahre lang von Spind zu Spind umzog; denn Malskats Truppeneinheit wurde mal hierhin, mal dorthin verlegt, und überall schob er Wache.
So sehe ich ihn mit seinem Karabiner 98 K. Er bewacht Munitionslager, Truppenunterkünfte, Zahlmeistereien. Die Kälte ist unbeschreiblich. Seine lange Nase friert. Gerne
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