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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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und bemalt wuchs aus schuppigem Fischschwanz ein vollbrüstiges Weib, das man Niobe oder volkstümlich Grüne Marjell genannt hat, und deren eingesetzte Bernsteinaugen von todbringender Wirkung gewesen sein sollen. Vom Rattenmenschen hingegen wäre umgekehrt belebende Wirkung zu erwarten. Wenn es nicht Malskat getan hat, dann soll sonstwer unsere Zukunft bebildern: schrecklich oder zum Lachen. Ich jedenfalls bin neugierig; ist doch der überholte und weitgehend langweilig gewordene Mensch schon lange der kühnen Manipulation bedürftig. Soviel ich weiß, wird diese neue Tätigkeit, die hier ein Gen nimmt, dort eines zufügt, immer mehr fleißigen Handwerkern geläufig.«
Da mag sich der Schlagbaum gehoben haben. Unser Herr Matzerath hängt ein. Mit leichtlädiertem Mercedes wird er bei Tempo Hundert die DDR durchfahren, bis sich bei Frankfurt hinter der Oderbrücke, diesmal weißrot, ein Schlagbaum hebt und katholisch an seinem Geschick leidend Polen flach vor ihm liegt.
Wie neugierig und ängstlich zugleich er ist. Ob seine Großmutter so geräumig blieb, wie er ihr Innenleben seit jeher gewünscht hat? Ich fürchte, er fürchtet sich. Doch nun muß er reisen. Der guten Hälfte seiner fragwürdigen Existenz entsprechend, fährt Oskar nach Hause.
Im Schlaf noch, erstarrt in Erwartung,
weiß ich, was kommt: Mundgeruch, den ich kenne. Schon stehen Antworten stramm.
    Alle Geschenke dürfen verpackt bleiben und jedes Geheimnis gehütet.
Diese Rolle seit Jahren geprobt. Gesättigt vom Vorgeschmack, ist mir das Ende aller Geschichte geläufig.
    Was erwarte ich dennoch?
Stottern und aus dem Text fallen.
Liebste, daß wir uns fremd sind,
zuvor nie gewittert,
daß du mich durchlässig machst
für Wörter, die winseln und quengeln. Nicht Hofferei mehr, Häppchen für Häppchen, keine Pillen und gleichrunde Glücklichmacher, Ängste aber vorm leeren Papier.
    Noch flimmert die matte Scheibe
und sucht nach ihrem Programm.
Das Schiff will nicht kommen,
dem Wald lief die Handlung davon,
aus Polen nichts Neues, doch füllt
sich das Bild und ich weiß: Du bist es, Rättin, von der mir träumt.
    Erstarrt in Erwartung, ahne ich, was nun kommt: in Fortsetzungen unser Ende.
    Mir zugewendet, die Witterhaare in jede Richtung gestellt, damit nichts Fremdbestimmtes in ihr Revier dringt, sagte sie: Eigentlich ist es belanglos, ob anstellige Mäuse oder wir Ratten persönlich die beiden Großcomputersysteme besetzt hatten, denn die Abfolge der humanen Programme verlief ausschließlich nach menschlichem Ermessen. Wir hätten uns das nicht ausdenken können, dieses Höllentheater. Zutreffend deshalb der Ausdruck für das erzielte Ergebnis: Verbrannte Erde.
Sie machte eine Pause und nahm das Spiel einiger Witterhaare zurück. Jetzt konnte ich mir vorstellen, was oft genug beschrieben und als finaler Zustand benannt worden ist; doch Wörter wie Kraterlandschaft oder totale Verwüstung hätten zu kurz gegriffen.
Dann sagte sie: Sogar die liebliche Kaschubei, vormals kaschubische Schweiz genannt, mit ihren Kartoffeläckern, Brombeerhecken und Mischwäldern, mit fischreichen Seen und dem Flüßchen, das Radaune hieß, verlor ihr Gesicht. Zwar nicht direkt getroffen, litt das Hinterland dennoch unter Neutronenund Gammastrahlen, die bis Tczew und Kartuzy wirksam waren, und mehr noch unter Atomschlägen, die ihre Bodennullpunkte in den Zentren der Städte Gdynia und, östlich der Weichsel, Elblag hatten. Das flache Land bot den Druckwellen keinen Halt, und die gehügelten Wälder vergingen in Feuerstürmen, die bis weit in die Tuchler Heide alles, was brennbar war, in Asche legten. Aber besonders litt das angestammte Siedlungsgebiet der Kaschuben unter der Sonnenfinsternis, dem Klimasturz und unter radioaktiven Staubstürmen, die nach dem Großen Knall weltweit das Wetter bestimmten und annähernd jedes Leben löschten; selbst heute noch und es verging viel Zeit seitdem fürchten wir die Mitbringsel dieser Stürme.
Du weißt ja, Freundchen, sagte die Rättin, was eure Wissenschaftler in Prognosen bis ins Detail gewußt haben. Während der ausgehenden Humanzeit wurde beim Schlußstrichziehen und Zusammenzählen gewetteifert. Es ging um Megatonnen und Megatote. Szenarien nannte man das. Doch so widersprüchlich sich diese Vorwegberichte im einzelnen lasen, aufs Ganze bezogen, wurden die letzten Leistungen des Menschengeschlechtes, dem viele Spezialistenhirne dienstbar waren, bestätigt: Keine Region blieb verschont, nirgendwo hielt sich eine Idylle,

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