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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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melden haben. Nichts wird von einer Fehlerquelle geschrieben stehen. Im Gegenteil: alles läuft wie gewohnt. Natürlich gibt es Gefahren, aber wann gab es keine? Noch nie war der Friedenswille so groß!
Dennoch sollten sie gewarnt werden, die alten Männer, deren Finger so nah am Knöpfchen zittert. Hört, rief ich, ihr mächtigen Greise: Es heißt, ihr wollt miteinander sprechen und nicht mehr ganz so bös aufeinander sein. Das ist gut so. Redet, bitte redet, ganz gleich über was, aber redet. Und doch müssen wir uns fragen: Was hilft der Welt das neuerliche Gerede, wenn sich abseits eurer Friedensrederei zuerst klitzekleine, dann ziemlich massive Fehler in unser Sicherheitssystem einschleichen, ich meine, sich durchfressen, wie sich gewisse Nager durch Holz, Beton, durch Metall sogar durchfressen, bis sie nehmen wir spaßeshalber mal an in beide Zentralcomputer gelangt sind, dort Unsinn anstiften, schlimmer noch, alle Chips und Klips, unsere so sorgfältig ausgetüftelte Sicherheit durcheinanderbringen, nein, noch schlimmer nicht durcheinanderbringen, vielmehr was da ist und auf Gelegenheit lauert, auslösen, etwas Endgültiges, das nicht mehr zurückgerufen werden kann. Nager schaffen das. Mäuse, zum Beispiel, die kommen überall durch rein raus, kein Löchlein ist denen zu klein, kein Spalt zu eng.
Deshalb, ihr Greise, gilt es Alarm zu geben. Hört ihr, Alarm! Umgehend, nein, sofort müssen die computerhörigen Kommandozentralen der beiden Schutzmächte gegen Mäusebefall gesichert werden. Und nicht gegen Mäuse nur. Immerhin könnte es sein, daß andere, besonders zähe und gegen Gift immune, zudem besonders intelligente Nager, Ratten zum Beispiel, alle für Mäuse wirksame Sicherheitsmaßnahmen umgehen und den humanen Friedenswillen ignorieren. Warum? Aus welchen Motiven?
Na, Schlußmachen wollen sie mit uns, mit der Menschheit total, weil sie uns satt haben, weil sie sich posthumane Zeiten erträumen und nur noch lustig für sich sein wollen; allenfalls Asseln noch, säugende Schmeißfliegen und sirrende Flugschnecken ...
Denn hört, ihr Großen, die ihr so viel Verantwortung tragen müßt, hört, was mir träumte: Es gibt uns nicht mehr. Ich sah in GdaDsk, wo ich als Kind, als Hitlerjunge, als Luftwaffenhelfer zu Hause gewesen bin, nur Ratten noch. Dann träumte mir: Ich sitze in einer Raumkapsel, bin aber nicht auf stellare Erscheinungen fixiert, sondern bemühe mich, was auf der Erde geschieht, in meine Technik zu füttern, damit man unten endlich begreift, daß es nicht weitergehen kann so. Ich meine die vielen Probleme, die, von oben gesehen, überall deutlich ungelöst rumliegen. Zum Beispiel: Wohin mit dem Müll? Oder: Wie sollen die viel zu vielen Quallen gezählt werden? Und wer wird die sterbenden Wälder wieder gesundmachen, sobald wir, wie im Märchen der Prinz, die Fehlerquelle endlich entdeckt haben?
Kurz vorm Erwachen gelang es mir doch noch, in meiner Raumkapsel den Monitor zu beleben. Nach üblichem Bildsalat, was Träume so mit sich bringen abermals unfähig als K sechs -, sah ich mehrere Märchengestalten in einem Auto unterwegs...
    Mit Rumpelstilzchen am Steuer, dem ausgelosten Zwerg als Beifahrer, mit dem schlafsüchtigen Dornröschen und dem wachküssenden Prinzen auf den Rücksitzen, fahren sie durch die Stadt Bonn, von der behauptet wird, sie sei die Bundeshauptstadt.
Der Zwerg sitzt auf zwei Kissen und hält mit suchendem Zeigefinger einen Stadtplan auf den Knien. Ortsfremd folgt Rumpelstilzchen den Anweisungen des Zwerges: »Links einordnen!« »Nach der zweiten Straße rechts abbiegen.« Immer wieder küßt der Prinz sein Dornröschen wach, um der Prinzessin hauptstädtische Sehenswürdigkeiten zu zeigen: den Rhein von der Rheinbrücke aus, dann die Beethovenhalle, später, nach einigen Irrfahrten durch die Quartiere der Lobbyisten, ein Hochhaus, das von drei Großbuchstaben erhöht wird und einen modernen Flachbau, der dennoch an eine Baracke erinnern soll. Dornröschen muß ihre langumwimperten Plieraugen weit aufreißen, schläft aber immer wieder ein. Beinahe übersieht Rumpelstilzchen das Haltgebot einer Ampel. »Rot!« schreit der Zwerg.
In der Innenstadt gerät der alte Ford, dessen Motor, dank Hexenbenzin, nicht müde wird, zwischen viele Protestumzüge, die unterschiedliche, oft gegensätzlich laute Transparente vor sich hertragen. Der Prinz und der Zwerg lesen: »Wann kommt das Babyjahr?« »Türken raus!« »Raketen weg!« »Den Frieden aufrüsten!« »Gegen

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