Die Rättin
nicht rund um die Uhr bestochen und hinterzogen werden. Ferner bitte ich Sie, Herr Bundeskanzler, ein zweites Tortenstück für meinen Nachredner aufzusparen, damit frei von ablenkenden Nebentätigkeiten ein Vorschlag laut werden kann, der ausschließlich der Kultur förderlich sein soll. Es geht um die Neutronenbombe. Sie erinnern sich, meine Damen und Herren, gestritten wurde um sie. Geächtet sollte sie werden. Empörung kam auf. Auch ich war dagegen, damals. Ausgesprochen unmenschlich nannte ich sie. Und das ist sie, ist sie immer noch. Denn wo die Neutronenbombe hinhaut, geht der Mensch drauf und mit ihm alles Getier. Ich habe mir sagen lassen, daß die beschleunigten Neutronenund Gammastrahlen zuerst das menschliche Nervensystem lähmen, dann den Magen-Darmtrakt zerstören, gleichzeitig innere Blutungen, heftigen Schweißfluß und Durchfall auslösen, schließlich dem Körper bis zum Eintritt des Todes den letzten Tropfen Wasser entziehen, ihn also entsaften, wie unsere Mediziner sagen.
Entsetzlich ist das und kaum auszudenken. Verständlich deshalb die vielen Proteste. Doch vom entsafteten Menschen und sonstigen Lebewesen abgesehen, geht beim Einsatz von Neutronenbomben so gut wie nichts kaputt. Gebäude, Geräte, Fahrzeuge bleiben heil, also auch Banken, Kirchen, Hochtiefgaragen mit Zubehör. Dennoch hat man damals zu Recht gesagt: Das ist uns zu wenig. Was kann uns an produktionsfähigen Fabrikanlagen, funktionstüchtigen Panzern und intakten Kasernen liegen, wenn der Mensch draufgeht?!
Aber wie, frage ich Sie, meine Damen und Herren, sähe es aus, wenn die Neutronenbombe kultursichernde Aufgaben wahrzunehmen hätte? Was fiele uns zu einer Bombe ein, die als Freundin der Künste schonende Aufgaben fände? Könnte man mit ihr leben, wenn sie zielbewußt nicht nur Panzer und Kanonen, sondern auch gotische Dome und barocke Fassaden heil ließe? Mit anderen Worten, wir alle, die wir noch gestern empört waren, sollten zur Neutronenbombe ein neues, ein entkrampftes Verhältnis gewinnen und ihren wahren, ich spreche es aus: ihren kunstsinnigen Charakter erkennen. Erinnern wir uns: die damals heftige Diskussion hat eine zügige Weiterentwicklung bloß taktischer Geschosse zu strategisch wirksamen Neutronenbomben gehemmt. Doch ließe sich die verlorene Zeit aufholen, zumal es nicht an Kapazitäten fehlt. Wer unsere höchsten Kulturgüter auf Dauer geschützt sehen will und ich bin sicher, daß jeder Abgeordnete von diesem Willen getragen wird -, der muß die Produktion vieler Schonbomben fordern.
Selbstverständlich gilt diese Forderung für beide Schutzmächte. Dem Gleichgewicht des Schreckens muß ein Gleichgewicht der Schonung entsprechen. Deshalb ist ein besonderes Abkommen vonnöten, das die Neutronenbombe als Schonbombe ausschließlich dem Kulturschutz verpflichtet. Eine aus beiden Schutzmachtallianzen gebildete Kommission wird, wenn wir nur wollen, vorerst in Europa, dann aber auf allen Kontinenten tätig werden und die wichtigsten Kulturzentren auflisten. Dann gilt es, Schonzonen gleichgewichtig als Zielgebiete auszuweisen. Schließlich muß in beiden Schutzmachtbereichen nachgerüstet werden, weil das vorhandene Potential nicht ausreichen wird. Wir wollen ja möglichst viel Kultursubstanz schonen, die sonst der atomaren Zerstörung anheimfallen müßte. Wenn ich, meine Damen und Herren, Ihre Zwischenrufe richtig verstehe, beginnen Sie, Interesse zu nehmen. Sie fordern mich auf, zur Sache zu kommen. Sie rufen leidenschaftlich: Kunst ist Geschmackssache!
Wie recht Sie haben. Aber unser Geschmack in Sachen Kunst wird sich finden, sobald wir zu Hause, im deutsch-deutschen Bereich das Bewahrenswerte beim Namen nennen: Ich schlage Bamberg und Dresden als zu neutronisierende Städte vor, wobei ihnen die wiederaufgebaute Semperoper und der Bamberger Reiter als Merkwörter behilflich sein mögen. Es könnten, ohne daß ich mich festlegen will, hier Rothenburg ob der Tauber, drüben Stralsund folgen, dann Lübeck und Bautzen...
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren vielen Dank, Herr Präsident -, Zurufe wie: Und was ist mit Celle? oder: Warum nicht Bayreuth? zu unterlassen, weil der gesamtdeutsche Aspekt der geplanten Verschonung Vorrang genießen sollte. Da anzunehmen ist, daß sich die meisten Städte denn überall gibt es Reste Kulturum die Gunst kunstfreundlicher Neutronisierung bewerben werden, wird der noch zu bildenden Findungskommission viel Verantwortung zufallen. Sie wird Kunstverstand zu beweisen haben.
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