Die Räuberbraut
natürlich; Schicksalhafte Entscheidungen; und eines ihrer eigenen Lieblingsbücher, Keegans Das Antlitz des Krieges.
An der einen Wand hängt eine billige Reproduktion von Benjamin Wests »Der Tod Wolfes«, Tonys Meinung nach ein erbärmliches Bild. Wolfe so bleich wie der Bauch eines Kabeljaus, die Augen frömmlerisch zum Himmel verdreht, umdrängt von zahlreichen nekrophilen Voyeuren in grotesken Kostümierungen. Tony hat es aufgehängt, um sich selbst und ihre Studenten daran zu erinnern, welchen Pomp und welchen Märtyrerkult die Mitglieder ihres Berufsstandes gelegentlich betreiben. Daneben hängt Napoleon, der in Gedanken versunken die Alpen überquert.
An die gegenüberliegende Wand hat sie eine amateurhafte Federzeichnung gehängt, die den Titel »Wolfe beim Pinkeln« trägt. Der General steht halb vom Betrachter abgewandt, so daß nur sein Profil mit dem fliehenden Kinn zu sehen ist. Er macht ein dümmliches Gesicht, und in der Sprechblase vor seinem Mund steht: »Scheiß-Knöpfe.« Die Zeichnung wurde vor zwei Jahren von einem ihrer Studenten angefertigt und ihr am Ende des Trimesters von dem ganzen Kurs überreicht. In der Regel sind die meisten ihrer Studenten männlich: es gibt nicht viele Mädchen, die sich unwiderstehlich von Kursen wie Taktische Fehler des späten Mittelalters oder Militärgeschichte als Kunstprodukt , wie ihre Graduiertenkurse dieser Tage heißen, angezogen fühlen.
Als sie das Päckchen auswickelte, hatten alle sie gebannt angestarrt, um zu sehen, wie sie auf das Wort »Scheiß« reagieren würde. Männer im Alter ihrer Studenten scheinen zu glauben, daß Frauen in Tonys Alter derartige Ausdrücke noch nie im Leben gehört haben. Sie findet das rührend. Sie muß sich richtig dazu zwingen, ihre Studenten nicht als »meine Jungs« zu bezeichnen. Wenn sie nicht aufpaßt, verwandelt sie sich noch in eine dieser beherzten, jovialen Mutterglucken; oder, schlimmer noch, in eine wissende, wunderliche alte Schachtel. Sie wird noch anfangen, ihnen zuzuzwinkern und sie in die Wangen zu kneifen.
Die Zeichnung selbst ist ein Tribut an ihre Vorlesung über die Technologie von Hosenlatzverschlüssen, die – wie ihr zu Ohren gekommen ist – unter dem Spitznamen »Peinliche Knöpfe« läuft und für gewöhnlich überdurchschnittlich viele Interessenten anzieht. Autoren, die sich mit dem Krieg befassen – so fängt sie an –, neigen seit jeher dazu, sich auf die Könige und Generäle zu konzentrieren, auf ihre Entscheidungen und ihre Strategien, und übersehen dabei gerne bescheidenere, aber gleichermaßen wichtige Faktoren, die die eigentlichen Soldaten – diejenigen, die dem Feuer ausgesetzt sind – in Gefahr bringen können und es auch getan haben. Krankheitsübertragende Läuse und Flöhe zum Beispiel. Schadhafte Stiefel. Schmutz. Bakterien. Unterhemden. Und Hosenlatzverschlüsse. Das Zugband, die Überschlagklappe, der geknöpfte Latz, der Reißverschluß, sie alle haben im Lauf der Jahrhunderte eine Rolle in der Militärgeschichte gespielt; nicht zu vergessen der Kilt, der, von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet, vieles hat, was für ihn spricht. Lachen Sie nicht, sagt sie zu ihnen. Stellen Sie sich lieber vor, Sie seien auf einem Schlachtfeld, und plötzlich macht sich die Natur bemerkbar, wie sie es in Zeiten der Belastung häufig tut. Und nun stellen Sie sich vor, Sie müßten versuchen, diese Knöpfe hier aufzubekommen!
Sie hält eine Zeichnung der fraglichen Knöpfe in die Höhe, einen Hosenverschluß aus dem neunzehnten Jahrhundert, für den man mindestens zehn Finger und mindestens zehn Minuten pro Knopf gebraucht hat.
Und jetzt stellen Sie sich einen Heckenschützen vor. Nicht mehr ganz so lustig?
Eine Armee marschiert mit dem Magen, aber auch mit ihren Hosenlatzverschlüssen. Nicht etwa, daß der Reißverschluß – auch wenn er die Öffnungsgeschwindigkeit beträchtlich verbesserte – völlig ohne Fehl wäre. Wieso nicht? Überlegen Sie selbst – Reißverschlüsse klemmen gelegentlich. Und sie sind laut! Und Männer haben sich die gefährliche Gewohnheit zugelegt, Streichhölzer an ihnen anzureißen. Im Dunkeln. Man könnte genauso gut eine Leuchtrakete abfeuern.
Zahlreich waren die Verbrechen – so fährt sie fort –, die von den Schöpfern militärischer Bekleidung an hilflosen Mannschaften verübt wurden. Wie viele britische Soldaten fanden unnötigerweise den Tod, nur weil das Rot ihrer Uniformen nicht zu übersehen war? Und glauben Sie ja nicht, diese
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