Die Räuberbraut
geraspelten Karotten, Hüttenkäse und kalten Linsen. Roz wählt das getoastete, mit Käse überbackene Gourmetsandwich auf Kräuter- und Kümmelbrot, garniert mit Gemüse und polnischen Gurken; und Tony entscheidet sich für das Middle-East-Special, bestehend aus Falafel und Schaschlik und Couscous und Humus.
»Wo wir grade beim Mittleren Osten sind«, sagt Roz. »Was ist da eigentlich los? Diese Geschichte mit dem Irak, mein ich. Dein Spezialgebiet, Tony.«
Die beiden sehen Tony an. »Nicht wirklich«, sagt Tony. Das Gute daran, Historikerin zu sein, das hat sie schon mehrmals versucht, den beiden klarzumachen, ist ja gerade, daß man sich mit Erfolg um die Gegenwart herumdrücken kann, meistens wenigstens. Aber natürlich hat sie die Entwicklung verfolgt; sie verfolgt sie seit Jahren. Ein paar interessante neue Technologien werden ausprobiert werden, soviel ist sicher.
»Zier dich nicht so«, sagt Roz.
»Meinst du, ob es Krieg geben wird?« sagt Tony. »Die kurze Antwort darauf lautet: ja.«
»Das ist ja schrecklich«, sagt Charis entsetzt.
»Erschieß mich nicht gleich. Ich bin nur die Überbringerin der Botschaft«, sagt Tony. »Ich mach diesen Krieg nicht, ich sag euch nur, daß es ihn geben wird.«
»Aber woher willst du das wissen ?« sagt Roz. »Irgendwas könnte sich immer noch ändern.«
»Es ist nicht wie an der Börse«, sagt Tony. »Das Ganze ist beschlossene Sache. Es wurde beschlossen, sobald Saddam diese Grenze überquert hatte. Wie beim Rubikon.«
»Beim was?« sagt Charis.
»Nicht so wichtig, Süße, nur was Historisches«, sagt Roz. »Es sieht also wirklich schlimm aus, oder was?«
»Nicht auf kurze Sicht«, sagt Tony. »Auf lange Sicht dagegen – nun ja. Viele Reiche sind untergegangen, weil sie sich überdehnt haben. Das könnte für beide Seiten gelten. Aber im Augenblick denken die Vereinigten Staaten nicht darüber nach. Sie sind einfach von der Idee begeistert. Ein Krieg gibt ihnen die Gelegenheit, ihre neuen Spielsachen auszuprobieren und ein paar Geschäfte zu machen. Ihr dürft euch das Ganze nicht als Krieg vorstellen, sondern als eine Art Marktausweitung.«
Charis häuft geraspelte Karotten auf ihre Gabel; ein Fädchen klebt an ihrer Oberlippe wie ein niedlicher, orangefarbener Schnurrbart. »Wenigstens werden nicht wir es sein, die diesen Krieg machen«, sagt sie.
»O doch, das werden wir«, sagt Tony. »Man wird unsere Beteiligung verlangen. Wer den Schilling des Königs annimmt, muß ihm auch in den Arsch kriechen. Wir werden dabei sein, wir und unsere marode, rostige alte Marine. Und das ist wirklich eine Schande.« Tony ist tatsächlich empört darüber: wenn man Männer in den Kampf schickt, sollte man ihnen wenigstens eine anständige Ausrüstung mitgeben.
»Vielleicht macht er einen Rückzieher«, sagt Roz.
»Wer?« sagt Tony. »Onkel Sam?«
»Onkel Saddam«, sagt Roz.
»Das kann er nicht«, sagt Tony. »Dafür ist er schon zu weit gegangen. Seine eigenen Leute würden ihn umbringen. Nicht, daß sie es nicht schon versucht hätten.«
»Das alles ist so deprimierend«, sagt Charis.
»Das kannst du laut sagen«, sagt Tony. »Die Machtgier wird triumphieren. Tausende werden grundlos sterben. Leichen werden verfaulen. Frauen und Kinder werden zugrunde gehen. Seuchen werden ausbrechen. Hungersnöte werden wüten. Hilfsfonds werden eingerichtet werden. Funktionäre werden die Gelder in die eigene Tasche stecken. Aber das Ganze hat auch was Gutes, die Selbstmordrate wird sinken. Das tut sie in Kriegszeiten immer. Und vielleicht werden weibliche Soldaten eine Chance bekommen, an vorderster Front zu kämpfen und eine Bresche für den Feminismus zu schlagen. Obwohl ich meine Zweifel daran habe. Wahrscheinlich werden sie nur wie üblich Verbände wickeln. Bestellen wir noch eine Flasche Evian.«
»Tony, du bist immer so kaltblütig«, sagt Roz. »Wer wird gewinnen?«
»Die Schlacht oder den Krieg?« fragt Tony zurück. »Die Schlacht wird ohne jeden Zweifel an die Technologie gehen. An den, der die Luftüberlegenheit besitzt. Und wer könnte das wohl sein?«
»Die Irakis sollen eine Art Riesenkanone haben«, sagt Roz. »Ich hab irgendwo was darüber gelesen.«
»Nur einen Teil davon«, sagt Tony, die ziemlich viel darüber weiß, weil das Thema sie interessiert. Sie, und die Jane’s Defence Weekly, und viele Unbekannte. »Die Superkanone. Sie wäre tatsächlich ein technologischer Durchbruch gewesen; sie hätte Mittelstreckenbomber und teure Raketen überflüssig
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