Die Räuberbraut
gemacht und die Kosten gesenkt. Ratet mal, wie sie das Ding genannt haben? Projekt Babylon! Aber der Typ, der daran gearbeitet hat, wurde ermordet. Ein verrücktes Waffengenie – Gerry Bull. Der beste Ballistiker der Welt – einer von uns, nebenbei gesagt. Er war gewarnt worden, sozusagen. Sachen bewegten sich in seiner Wohnung, wenn er nicht da war. Mehr als nur ein leiser Hinweis, würd ich sagen. Aber er bastelte weiter an seiner Kanone herum, und dann: knallpeng – fünf Kugeln im Kopf.«
»Das ist ja schrecklich«, sagt Charis. »Ich hasse so was.«
»Du kannst es dir aussuchen« ; sagt Tony. »Denk daran, wie viele Menschen durch die Superkanone getötet worden wären.«
»Jedenfalls«, sagt Roz, »hab ich gehört, daß sie sich eingebuddelt haben. Daß sie tiefe Betonbunker haben. Bombensicher.«
»Nur für die Generäle«, sagt Tony. »Du wirst es sehen.«
»Tony, du bist immer so zynisch«, sagt Charis mit einem mitleidigen Seufzer. Sie hofft immer noch auf Tonys spirituelle Läuterung, die sich zweifellos in einer Entdeckung früherer Leben, einer teilweisen Lobotomie und einem gesteigerten Interesse an Gartenarbeit äußern würde.
Tony mustert sie, wie sie vor ihrem hübschen Dessert sitzt, dem gemischten Sorbet, einer Kugel Rosa, einer Kugel Rot, einer Kugel Brombeerlila, den Löffel in der halb erhobenen Hand, wie ein Kind auf einer Geburtstagsparty. Soviel Unschuld schmerzt Tony gleich zweifach. Einerseits möchte sie Charis trösten, andererseits würde sie sie am liebsten schütteln. »Was soll ich denn deiner Meinung nach sagen? Daß wir uns alle um eine positivere Einstellung bemühen sollten?«
»Es wäre einen Versuch wert«, sagt Charis im vollen Ernst. »Man kann nie wissen. Wenn alle es tun würden.«
Manchmal würde Tony Charis am liebsten an der lilienweißen Hand nehmen und sie zu den Schädelhaufen führen, zu den versteckten Massengräbern, zu den verhungernden Kindern mit ihren streichholzdünnen Ärmchen und ihren aufgeblähten Bäuchen, zu den Kirchen, die von außen verrammelt und angezündet werden, während drinnen die brutzelnden Gefangenen schreien, zu den Kreuzen, Reihe um Reihe um Reihe, Jahrhundert um Jahrhundert, immer weiter zurück in die Vergangenheit, so weit man kommt. Und jetzt? würde sie zu Charis sagen. Was siehst du jetzt?
Blumen , würde Charis sagen.
Zenia hätte das nie gesagt.
Tony spürt einen kühlen Luftzug. Die Tür muß aufgegangen sein. Sie hebt den Kopf und sieht in den Spiegel.
Zenia steht da, hinter ihr, im Rauch, im Spiegel, in diesem Raum. Keine Frau, die wie Zenia aussieht: Zenia in eigener Person.
Es ist keine Halluzination. Die leopardenbestrumpfte Kellnerin hat sie auch gesehen. Sie nickt, sie geht zu ihr, sie deutet auf einen Tisch weiter hinten. Tony spürt, wie ihr Herz sich zusammenzieht, sich ballt wie eine Faust, und in die Tiefe stürzt.
»Tony, was ist los?« sagt Roz.
»Sieh dich um, aber langsam«, sagt Tony. »Und schrei nicht.«
»Oh, Scheiße«, sagt Roz. »Sie ist es.«
»Wer?« sagt Charis.
»Zenia«, sagt Tony.
»Zenia ist tot«, sagt Charis.
»Heiliger Strohsack«, sagt Roz. »Sie ist es. Verflixt, Charis, hör auf, so zu starren, sie sieht dich noch.«
»Und das nach dieser idiotischen Trauerfeier«, sagt Tony.
»Sie war schließlich nicht dabei«, sagt Roz. »Nur diese Blechbüchse, weißt du nicht mehr?«
»Und dieser Anwalt«, sagt Tony. Als der erste Schock vorbei ist, stellt sie fest, daß sie nicht wirklich überrascht ist. Sie hat das Gefühl, gleich loskichern zu müssen. Was für ein Trick.
»Haha«, sagt Roz. »Anwalt, meine Fresse.«
»Er hat wie ein richtiger Anwalt ausgesehen«, sagt Charis.
»Er hat zu sehr wie ein richtiger Anwalt ausgesehen«, sagt Roz. »Sehen wir den Tatsachen ins Auge, wir sind reingelegt worden. Es war eine von ihren Nummern.«
Sie flüstern wie Verschwörerinnen. Warum, denkt Tony. Wir haben nichts zu verbergen. Wir sollten zu ihr gehen und fragen – was? Woher sie die gottverdammte Frechheit nimmt, noch am Leben zu sein?
Sie sollten einfach weiterreden, so tun, als hätten sie sie nicht gesehen. Statt dessen starren sie den Tisch an, auf dem ihre gemischten Sorbets zu einem rosigen und himbeerfarbenen Geschmier verlaufen sind, das auf den weißen Tellern herumschwimmt wie die Spuren eines Haifischangriffs. Sie fühlen sich ertappt, sie fühlen sich in die Ecke gedrängt, sie fühlen sich schuldig. Dabei sollte es Zenia sein, die sich so fühlt.
Aber Zenia
Weitere Kostenlose Bücher