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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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geweigert, die ihr zugedachte Rolle zu spielen. Sie hat gelernt, ihre große, fette Klappe zu halten. Sie übersieht die Telefonrechnungen und die Streichholzbriefchen, und nach den mitternächtlichen Telefonaten sagt sie liebevoll, daß sie hofft, daß er es mit dem Arbeiten nicht übertreibt. Während er auf irgendwelchen Konferenzen herumschwirrt, beschäftigt sie sich mit anderen Dingen. Sie hat Besprechungen, an denen sie teilnehmen muß, sie hat Theaterstücke, die sie sich ansehen muß, sie hat ihre Kriminalromane, die sie lesen kann, in ihr Bett eingekuschelt, eine dicke Schicht Nachtcreme auf dem Gesicht; sie hat Freundinnen, sie hat ihr Geschäft zu führen; ihre Zeit ist voll und ganz mit anderen Dingen als ihm ausgefüllt. Sie tut zerstreut; sie vergißt, seine Hemden in die Reinigung zu schicken, und wenn er mit ihr spricht, sagt sie: »Was hast du gerade gesagt, Liebling?« Sie kauft sich neue Kleider und neue Parfüms und lächelt sich in Spiegeln zu, wenn anzunehmen ist, daß Mitch gerade nicht guckt, er es aber sehr wohl sieht, und Mitch fängt an zu schwitzen.
    Roz weiß warum: seine kleine Zuckerpuppe fängt allmählich an, die Krallen auszufahren, sie sagt, daß sie nicht versteht, was mit ihm los ist, sie quengelt, sie spricht von Bindung und Scheidung, beides Dinge, die er jetzt in die Tat umsetzen sollte, nach allem, was er versprochen hat. Das Netz um ihn herum zieht sich immer enger zusammen, und niemand ist da, ihn zu retten. Er wird vom Schlitten gestoßen, er wird den Wölfen vorgeworfen, den Horden räuberischer Weiber, die nach seinen Hacken schnappen.
    In seiner Verzweiflung greift er auf immer offenere Winkelzüge zurück. Er läßt Briefe herumliegen – die Briefe der Frau an ihn, und, schlimmer noch, seine Briefe an die Frau – er macht tatsächlich Kopien! –, und Roz liest sie und kocht vor Wut und geht ins Fitneß- Center, um sich abzureagieren, und ißt anschließend Schokoladentorte und legt die Briefe dahin zurück, wo sie sie gefunden hat, und erwähnt sie mit keinem Wort. Er kündigt einen getrennten Urlaub an – vielleicht wird er mit dem Boot ein paar Tage in der Georgian Bay herumschippern, allein, er braucht ein bißchen Zeit, um wieder zu sich zu kommen –, und Roz stellt sich vor, wie irgend so ein hergelaufenes Flittchen auf dem Deck der Rosalind II herumlungert, und reißt das Foto im Geiste in der Mitte durch und sagt zu Mitch, daß das eine wundervolle Idee ist, sie können beide ein bißchen Ellbogenfreiheit brauchen.
    Nur der Himmel weiß, wie sehr sie sich auf die Zunge beißt. Sie wartet bis zur letzten Sekunde, bis ihm nichts anderes übrigbleibt, als tatsächlich durchzubrennen oder sich dabei erwischen zu lassen, wie er sein neuestes Ding in Roz’ himbeerfarbenem Bett vögelt, nur damit Roz endlich auf ihn aufmerksam wird. Erst dann streckt sie ihm die helfende Hand entgegen, erst dann reißt sie ihn vom Abgrund zurück, erst dann legt sie ihm die erwartete Szene hin. Die Tränen, die Mitch dann vergießt, sind keine Tränen der Reue. Es sind Tränen der Erleichterung.
    Hat Roz insgeheim ihren Spaß an diesem Spiel? Zu Anfang nicht. Als es das erste Mal passierte, fühlte sie sich ausgehöhlt, auseinandergenommen, verschmäht und verraten, von einem Bulldozer überrollt. Sie kam sich wertlos vor, nutzlos, sexlos. Sie dachte, sie würde sterben. Aber inzwischen hat sie eine gewisse Befähigung entwickelt, und von daher auch einen gewissen Geschmack an der Sache. Es ist genau wie bei einer geschäftlichen Verhandlung, oder bei einem Pokerspiel. Sie war immer ein As im Pokern. Man muß wissen, wann man den Einsatz erhöhen, wann man bluffen, wann man passen muß. Und deshalb hat sie tatsächlich ihren Spaß daran, bis zu einem gewissen Grad. Es ist schwer, keinen Spaß an etwas zu haben, das man perfekt beherrscht.
    Macht die Tatsache, daß sie ihren Spaß daran hat, alles richtig? Im Gegenteil. Gerade daß sie ihren Spaß daran hat, macht alles erst recht falsch. Jede Nonne könnte ihr das sagen, und viele haben es ihr gesagt, früher, im früheren Teil ihres Lebens. Wenn sie Mitchs Attacken durchlitte wie eine Märtyrerin, wenn sie weinte und sich selbst kasteite – wenn sie sich diese Attacken aufzwingen ließe, ohne auch nur im geringsten daran beteiligt zu sein, ohne daran mitzuwirken, ohne zu lügen und zu heucheln und zu lächeln und Mitch an der langen Leine zappeln zu lassen wie einen überdimensionalen Karpfen, dann wäre alles richtig. Dann

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