Die Räuberbraut
würde sie aus Liebe leiden, passiv leiden, statt zu kämpfen. Für sich selbst zu kämpfen, für ihre Vorstellung davon, wer sie ist. Die richtige Art von Liebe mußte selbstlos sein, jedenfalls bei einer Frau, sagten die Schwestern. Das Ich mußte geschrubbt werden wie ein Fußboden: auf den Knien, mit einer harten Drahtbürste, bis nichts mehr davon übrig war.
Roz kann das nicht. Sie kann nicht selbstlos sein, das konnte sie noch nie. Außerdem ist ihre Methode besser. Vielleicht ist sie härter für Mitch, aber sie ist einfacher für sie selbst. Sie hat natürlich einen Teil der Liebe aufgeben müssen; einen Teil ihrer einst grenzenlosen Liebe zu Mitch. Man kann keinen kühlen Kopf bewahren, wenn man in Liebe ertrinkt. Dann schlägt man nur hilflos um sich und schreit und verschleißt sich selbst.
Die Maisonne scheint durch das Fenster, Mitch pfeift »It Ain’t Me, Babe«, und Roz bearbeitet ihre Zähne mit Zahnseide, hastig, damit Mitch sie nicht sieht, wenn er aus der Dusche kommt. Es gibt keinen größeren Dämpfer für die Lust als Zahnseide, findet Roz: ein weit aufgerissener Mund, in dem mit einem glitschigen Faden herumgefuhrwerkt wird. Sie hatte immer gute Zähne, sie gehören zu ihren Pluspunkten. Erst seit neuestem denkt sie gelegentlich, daß sie vielleicht nicht immer da sein werden, wo sie im Augenblick sind, nämlich in ihrem Mund.
Mitch kommt aus der Dusche, tritt hinter sie, schlingt die Arme um sie, drückt sie an sich, wühlt sich durch ihre Haare und küßt ihren Nacken. Wenn sie sich nicht gestern abend geliebt hätten, würde sie diesen Nackenkuß für aufschlußreich halten: er ist einfach zu nett, um unschuldig zu sein! Aber in diesem frühen Stadium kann man nie wissen.
»Schön geduscht, Liebling?« fragt sie. Mitch gibt das Grunzen von sich, das er immer von sich gibt, wenn er der Meinung ist, daß eine Frage von Roz so belanglos ist, daß sie nicht beantwortet werden muß. Er weiß nicht, daß das, was sie gesagt hat, keine Frage war, sondern ein umgekehrter Wunsch, der in der Übersetzung lautet: Ich hoffe, du hast schön geduscht, und jetzt gebe ich dir die Gelegenheit, dich über die eventuellen körperlichen Problemchen zu beklagen, die du eventuell hast, damit ich dich gebührend bemitleiden kann.
»Ich dachte, wir könnten zusammen Mittag essen«, sagt Mitch. Roz registriert die Formulierung. Nicht: Hättest du Lust, mit mir zu Mittag zu essen, oder: Ich würd dich gerne zum Mittagessen einladen. In seiner Formulierung ist kein Platz für ein Ja oder Nein, kein Platz für eine Ablehnung: falls überhaupt, dann ist es Mitch, der die Direktiven gibt. Aber gleichzeitig macht ihr Herz einen Sprung, weil es nicht sehr oft vorkommt, daß sie derartige Einladungen von ihm erhält. Sie sieht ihm im Spiegel ins Gesicht, und er lächelt sie an. Sein Spiegelbild verwirrt sie jedesmal. Es sieht schief aus, weil sie es nicht gewöhnt ist, ihn so herum zu sehen, er sieht umgestülpt aus. Aber niemand ist symmetrisch.
Sie verkneift es sich zu sagen: He, wie kommt es, daß ich auf einmal zähle? Ist der Hölle das Feuer ausgegangen? Statt dessen sagt sie: »Schatz, das wär wundervoll. Liebend gern!«
Roz sitzt auf dem Badezimmerhocker, einem umgebauten viktorianischen Nachtstuhl, und sieht Mitch beim Rasieren zu. Sie liebt es, ihm beim Rasieren zuzusehen! All dieser ungebändigte weiße Schaum, wie der Bart eines Höhlenmenschen, und wie er das Gesicht verzieht, um an die versteckten Stoppeln heranzukommen. Sie muß zugeben, daß er nicht nur distinguiert ist, er ist immer noch das, was man attraktiv nennen würde, auch wenn seine Haut allmählich röter wird und seine blauen Augen blasser. Verwegen gutaussehend, könnte es in einer Annonce für Herrenbekleidung heißen, obwohl damit der Schaffellmantel gemeint wäre. Der Schaffellmantel, die Schaffellhandschuhe, der Aktenkoffer aus Kalbsleder: das ist Mitchs Stil. Er hat viele Sachen aus teurem, geschmackvollem Leder. Noch bekommt er keine Glatze, dem Himmel sei Dank, nicht etwa, daß es Roz etwas ausmachen würde, aber es scheint den Männern etwas auszumachen, und sie kann nur hoffen, daß Mitch, wenn er tatsächlich in die Mauser kommen sollte, nicht auf den Gedanken verfällt, sich die Achselhöhle auf den Kopf transplantieren zu lassen. Seine Schläfen jedenfalls sind schon ein bißchen graumeliert. Roz überprüft ihn auf Roststellen, wie sie es bei einem Auto machen würde.
In Wahrheit wartet sie nur auf das After Shave.
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