Die Räuberbraut
Königshaltung, hat Roz einmal gelesen, in einer Zeitschrift. In einem dieser Pseudo-Psycho-Artikel, die behaupten, alles daran ablesen zu können, wie man seine Schnürsenkel zubindet. Seine römische Nase ragt nach oben, das leichte Doppelkinn und die Schwere der unteren Wangenpartie verschwinden in dieser Lage. Er hat weiße Linien um die Augen herum, Falten, die nicht sonnengebräunt sind; einige der stumpfen Haare, die durch seine Morgenhaut sprießen, sind grau.
Distinguiert, denkt Roz. Verteufelt distinguiert. Vielleicht hätte sie einen häßlichen Mann heiraten sollen. Eine häßliche Kröte von einem Mann, der sein Glück einfach nicht fassen könnte, der ihre goldenen Charaktereigenschaften zu schätzen wüßte, der ihre Babyfinger anbeten würde. Aber sie mußte sich ja unbedingt einen aussuchen, der distinguiert ist. Und Mitch hätte eine unterkühlte Blondine heiraten sollen, mit mörderischen Augen und einer an ihrem Hals festgewachsenen zweireihigen Perlenkette und einer eingebauten Tasche hinter der linken Brust, für das Scheckbuch. So eine Frau wäre ihm gewachsen gewesen. Sie hätte sich die Scheiße, die Roz sich gefallen läßt, nie im Leben gefallen lassen.
Sie schläft wieder ein und träumt von ihrem Vater, der auf einem schwarzen Berg steht, einem Berg aus Kohle, oder aus etwas Verbranntem, hört Mitchs Wecker klingeln, hört ihn noch einmal klingeln, und wird endlich wach. Der Platz neben ihr ist leer. Sie klettert aus dem Bett, dem riesigen Bett mit dem im geschwungenen Art- Nouveau-Stil gehaltenen Messinggestell und den himbeerfarbenen Laken und Bezügen, auf den auberginefarbenen Teppich des Schlafzimmers mit seinen lachsrosa Wänden und dem unbezahlbaren Spiegeltisch aus den zwanziger Jahren, faux ägyptisch, und schlüpft in ihren cremefarbenen Morgenmantel aus Satin und tappt barfuß ins Badezimmer. Sie liebt dieses Badezimmer! Es hat alles, was das Herz begehrt: Duschkabine, Jacuzzi, Bidet, einen beheizbaren Handtuchständer, Sie-und-Er-Waschbecken, damit die Haare von Roz’ Kopf den Stoppeln von Mitchs Kinn nicht in die Quere kommen. Sie könnte in diesem Badezimmer wohnen! Mehrere südostasiatische Familien ebenfalls, denkt sie verdrießlich. Schuldgefühle setzen ein.
Mitch ist schon hier, unter der Dusche. Seine rosige Silhouette ist vage durch den Dampf und das geriffelte Glas zu erkennen. Vor vielen Jahren – vor wie vielen? – wäre Roz spielerisch zu ihm unter die Dusche gehüpft; hätte ihn von oben bis unten eingeseift, hätte sich an seinem schlüpfrigen Körper gerieben, hätte ihn auf den gekachelten Boden des Badezimmers gezogen, damals, als seine Haut ihm noch wie angegossen paßte, als es noch keine schlaffen und verquollenen Stellen gab, auch an ihr nicht, als er noch nach Haselnüssen roch, ein herrlicher, gerösteter Duft; aber diese Dinge tut sie jetzt nicht mehr, jetzt, wo sie sich nicht mehr so gerne bei Tageslicht ansehen läßt.
Und überhaupt, wenn das, was sie vermutet, wahr ist, ist es der falsche Zeitpunkt, sich zur Schau zu stellen. In Mitchs Kosmologie steht Roz’ Körper für Besitz, Solidität, häusliche Tugenden, Heim und Herd, langen Gebrauch. Mutter-seiner-Kinder. Die Höhle. Während der wie auch immer geartete andere Körper, der zur Zeit sein Blickfeld beherrscht, mit ganz anderen Bezeichnungen verknüpft ist: Abenteuer, Jugend, Freiheit, das Unbekannte, Sex ohne Fesseln. Wenn das Pendel zurückschwingt – wenn dieser andere Körper anfängt, Komplikationen zu bedeuten, Entscheidungen, Forderungen, Trotz und tränenreiche Szenen –, dann wird Roz wieder an der Reihe sein. Das ist das übliche Muster.
Intuition gehört nicht unbedingt zu Roz’ Stärken, aber sie hat Intuitionen über den Anfang von Mitchs Attacken. Sie sieht sie als Attacken, wie in Malaria-Attacke; aber auch als Attacken anderer Art, denn ist Mitch etwa nicht ein Räuber, nutzt er diese armen Frauen, die immer jünger werden, je älter Mitch wird, etwa nicht aus, ist das Ganze im Grunde genommen nicht wie die Attacke eines Bären, die Attacke eines Hais, werden diese Frauen etwa nicht übel zugerichtet? Den tränenreichen Anrufen nach zu urteilen, die Roz entgegengenommen hat, den Schultern, die sie auf ihre heuchlerische, mütterliche Aber-aber-Art getätschelt hat, werden sie es.
Es ist erstaunlich, wie Mitch diese Frauen hinterher einfach abschreiben kann. Er schlägt die Zähne in sie und spuckt sie wieder aus, und Roz darf die Schweinerei aufwischen. Feuer
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