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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ihn unterstützen muß«, sagte ihr Vater. Und zu Mitch selbst: »Zwei Krüppel ergeben noch lange keinen Tänzer.« Dabei funkelte er ihn unter buschigen Augenbrauen an.
    »Entschuldigen Sie, Sir?« sagte Mitch, sehr urban, zu urban, Urbanität, die an Herablassung grenzte und bedeutete, daß er bereit war, Roz’ Eltern in Kauf zu nehmen, den Immigrantenmakel des einen, den Geruch nach gekochten Kartoffeln und nach häkeldeckchenverseuchtem Logierhaus, der der anderen anhaftete. Roz war neues Geld, Mitch war altes Geld; oder er wäre altes Geld gewesen, wenn er Geld gehabt hätte. Sein Vater war gestorben, ein bißchen zu früh und ein bißchen zu unbestimmt, als daß einem so ganz wohl sein konnte. Aber woher sollte Roz wissen, daß er das Familienvermögen mit einer Kriegswitwe durchgebracht hatte, mit der er durchgebrannt war, und anschließend von einer Brücke gesprungen war? Sie war keine Gedankenleserin, und Mitch erzählte ihr nichts davon, jahrelang nicht, viele, viele Jahre lang nicht. Genausowenig wie diese verschrumpelte Trockenpflaume von seiner Mutter, die zwar noch nicht tot war, es aber (so denkt Roz, im Keller) genausogut hätte sein können. Roz hat ihr die diskreten, beleidigenden, gleich an die Hochzeitsreise anschließenden Ratschläge, wie sie ihre Garderobe dämpfen und ihren Tisch decken sollte, nie verziehen.
    »Papa, ich bin kein Krüppel!« sagte Roz hinterher zu ihrem Vater. »Es ist so beleidigend, wenn du das sagst!«
    »Ein Krüppel und eine, die kein Krüppel ist, ergeben auch noch keinen Tänzer«, sagte ihr Vater. Was wollte er mir sagen? denkt Roz, nach all dieser Zeit. Was hatte er gesehen, welchen Riß, welche fehlerhafte Naht, welches erst ansatzweise vorhandene Hinken? Aber Roz hörte nicht, sie hielt sich die Ohren zu, sie wollte nicht hören. Ihr Vater sah sie mit einem langen, ernsten Blick an. »Weißt du wirklich, was du tust?«
     
    Roz glaubte es zu wissen; oder es war ihr egal, ob sie es wußte oder nicht, denn das hier war es, Es, und endlich schwebte sie, sie saß hoch oben auf Wolke neun, leicht wie eine Feder, trotz ihrer starken, groben Knochen. Ihre Mutter stand auf ihrer Seite, denn Roz war inzwischen fast dreiundzwanzig, und jede Heirat war besser als keine Heirat, soweit es sie betraf; obwohl sie, als sie sicher war, daß es wirklich und wahrhaftig dazu kommen würde, anfing, sich über Mitchs gute Manieren zu mokieren – etepetete und entschuldige bitte, für wen hält der Kerl sich eigentlich? – und verlauten ließ, daß ein Katholik ihr lieber gewesen wäre als ein Anglikaner. Aber da sie selbst Roz’ Vater geheiratet hatte, der nicht gerade der Papst war, konnte sie kein großes Theater machen.
     
    Mitch hat Roz nicht nur ihres Geldes wegen geheiratet. Dessen ist sie sicher. Sie erinnert sich an ihre Flitterwochen, in Mexiko, all die Totenschädel aus Zucker auf dem Markt am Tag der Toten, die Blumen, die Farben, sie selbst schwindelig vor Glück, ihr Gefühl der Neuheit und der Freiheit, denn sie hatte es geschafft, sie war keine potentielle alte Jungfer mehr, sie war eine Braut, eine verheiratete Frau; und dann die heißen Nächte, das Fenster zum Meer hin offen, die wehenden Vorhänge, der Wind, der wie Musselin über ihre Haut strich, und der dunkle Schatten von Mitch über ihr, gesichtslos und intensiv. Es war anders, wenn man jemanden liebte, es war kein Spiel mehr; es stand viel mehr auf dem Spiel. Hinterher weinte sie, weil sie so glücklich war, und Mitch mußte ähnlich empfunden haben, weil man diese Art von Leidenschaft nicht vollständig vortäuschen kann. Oder?
    Es war also nicht nur das Geld. Aber – sie wollte es mal so ausdrücken – ohne das Geld hätte er sie nicht geheiratet. Vielleicht ist es das, was ihn bei ihr hält, was ihn vor Anker bleiben läßt. Sie hofft, daß es nicht das einzige ist.
     
    Mitch hebt sein Weißweinglas und sagt: »Auf uns«, und greift über den Tisch und nimmt ihre linke Hand, die mit dem Ring, einem bescheidenen Ring, weil er sich damals nicht mehr leisten konnte und sich weigerte, einen Zuschuß ihres Vaters zu akzeptieren, damit er ihr einen größeren kaufen konnte, und lächelt sie an und sagt: »Eigentlich ist es gar nicht so schlimm gewesen, was? Wir sind doch ziemlich gut zusammen«, und Roz weiß, daß er sich selbst für heimliche Enttäuschungen trösten will, für die Zeit, die einfach weitermarschiert, für all die Welten, die er, jetzt, nie mehr erobern wird, für die Tatsache, daß es

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