Die Räuberbraut
und war zu Anfang so steif, daß sie ihn am liebsten angeschrien hätte: He, ich bin nicht deine Großmutter! Zieh endlich diesen Ladestock aus deinem Hintern! Wundervoll oder nicht, er klang wie ein Langweiler, wie ein verkniffener Oberklassearsch, dessen Vorstellung von ein bißchen Spaß sich darauf beschränkte, sonntags mit den halb scheintoten Schwiegereltern eine Partie Bridge zu spielen oder einen Spaziergang über den Friedhof zu machen. Er brauchte bedeutend länger, um zur Sache zu kommen, als Roz gebraucht hätte, wenn sie geführt hätte, aber irgendwann schaffte er es, sie zum Essen und anschließend ins Kino einzuladen. Halleluja und Gegrüßet seist du Maria, dachte Roz. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Aber als sie sich für ihre Verabredung fertig machte, verflog die Freude. Sie wollte schweben, fliegen, aber statt dessen fing sie an, sich immer schwerfälliger zu fühlen, während sie an ihrem Frisiertisch saß und sich Arpège auf die Stellen tupfte, an denen ihr Puls schlug, und sich nicht entscheiden konnte, welche Ohrringe sie tragen sollte. Welche, die ihr Gesicht weniger rund wirken ließen. Sicher, sie hatte Grübchen, aber es war die Art von Grübchen, die andere Leute an den Knien hatten. Sie sahen mehr wie Kerben aus. Sie war ein starkknochiges Mädchen, ein grobknochiges Mädchen (die Bezeichnung ihrer Mutter), ein Mädchen mit Rückgrat (die ihres Vaters), sie hatte eine vollschlanke Figur (die der Kleidergeschäfte). Zierlich würde sie jedenfalls nie sein. Lieber Gott, dachte sie, laß meine Füße schrumpfen, und ich tu alles für dich. Größe 39 wär nicht schlecht, und wenn du schon dabei bist, mach mich bitte blond.
Das Problem war, daß Mitch einfach zu gut aussah. Die Schultern, die blonden Haare, die blauen Augen, der Knochenbau – er sah aus wie ein Starlet aus einer Filmzeitschrift, männliche Version, zu schön, um wahr zu sein. Roz war völlig eingeschüchtert von seinem Aussehen – niemand, der so aussah, sollte das Recht haben, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, es könnte Autounfälle verursachen – und von seinem Auftreten und von seiner Haltung, kerzengerade, mit scharfen Kanten, wie ein tiefgekühltes Fischfilet. Sie würde sich bei ihm nie gehenlassen, Witze reißen, herumalbern können. Sie würde sich ständig Sorgen machen, ob sie etwas zwischen den Zähnen hängen hatte.
Plus, sie würde so hippelig sein vor Verlangen – raus damit, vor Wollust, mit großem W, der besten der Sieben Todsünden –, daß sie es kaum schaffen würde stillzusitzen. Normalerweise geriet sie nicht so schnell außer Kontrolle, aber Mitch stand in der Abteilung Aussehen ganz oben auf der Hitliste. Köpfe würden sich drehen, Leute würden starren, sie würden sich fragen, was ein derartiges Traumboot mit der Anwärterin im Miss Zuckerrüben-Wettbewerb wollte. Alles in allem lief alles darauf hinaus, daß es ein Abend wie im Fegefeuer werden würde. Hilf mir, das durchzustehen, Gott, und ich schrubbe eine Million Toiletten für dich! Nicht etwa, daß du daran interessiert wärst, denn wer scheißt schon im Himmel?
Es fing genauso gräßlich an, wie Roz es befürchtet hatte. Mitch brachte ihr Blumen mit, nicht sehr viele, aber Blumen, wie altmodisch konnte man denn noch werden, und sie wußte nicht, was sie mit den verflixten Dingern machen sollte, also brachte sie sie in die Küche – wurde von ihr erwartet, daß sie sie in eine Vase stellte oder was? Warum hatte er keine Pralinen mitgebracht? – wo ihre Mutter saß und bei einer Tasse Tee finster vor sich hingrübelte, im Morgenmantel und metallenen Lockenwicklern und einem Haarnetz darüber, weil sie später mit Roz’ Vater zu irgendeinem Bankett gehen mußte, irgendeiner geschäftlichen Einladung, und ihre Mutter haßte diese Veranstaltungen, und sie sah Roz mit jenem waidwunden Blick an, den sie sich zugelegt hatte, seit sie reich geworden und in diese Scheune von einem Haus in der Dunvegan Avenue gezogen waren, ganz in der Nähe des Upper Canada College, wo männliche Sprößlinge altehrwürdiger Familien wie Mitch hingeschickt wurden, um sich das Gehirn waschen und das Rückgrat verschweißen zu lassen, damit ihr Becken sich ja nie wieder bewegte, und sie sagte zu Roz: »Gehst du aus?«, im selben Tonfall wie: »Stirbst du?«
Und Roz hatte Mitch in dieser Höhle von Wohnzimmer zurückgelassen, mitten auf dem Teppichboden von der Größe eines halben Fußballfelds, umgeben von drei Lastwagenladungen Möbel im
Weitere Kostenlose Bücher