Die Räuberbraut
zusammenzureimen. »Er hat sie aufgeschrieben und dann verloren. Du kennst ihn ja.« Unbeholfen befreit sie sich aus dem Ledersessel, der in der Zwischenzeit anscheinend Saugnäpfe entwickelt hat.
»Ich hab extra gesagt, er soll dafür sorgen , daß du mich sofort anrufst«, sagt Zenia. »Direkt nachdem ich dich im Toxique gesehen hatte. Wahrscheinlich hast du mich nicht erkannt! Aber ich hab angerufen und ihm gesagt, daß es sehr wichtig ist.« Sie lächelt jetzt nicht mehr; sie fängt an, einen Ausdruck anzunehmen, an den Tony sich gut erinnert, ein Zwischending zwischen einem Stirnrunzeln und einem schmerzlich verzogenen Gesicht, dringend und gleichzeitig bedrängt. Er bedeutet, daß Zenia etwas will.
Tony ist jetzt wachsam, innerlich auf der Hut. Ihr schlimmster Verdacht wird bestätigt: das hier ist ganz offensichtlich ein Lügenmärchen, eine Geschichte, die Zenia und West sich für den Fall ausgedacht haben, daß Tony den Braten riechen oder Zenia an irgendeinem unwahrscheinlichen Ort über den Weg laufen sollte, beispielsweise ihrem eigenen Schlafzimmer. Die Geschichte lautet, daß der Anruf für Tony bestimmt war, nicht für West. Es ist eine schlau ausgedachte Geschichte, die mit Zenias Pfotenabdrücken übersät ist, aber West muß daran beteiligt sein. Die Dinge stehen schlimmer, als Tony gedacht hat. Die Fäulnis sitzt schon tiefer.
»Komm«, sagt Zenia. »Wir gehen auf mein Zimmer; ich bestell uns einen Kaffee.« Sie nimmt Tonys Arm. Gleichzeitig sieht sie sich in der Halle um. Es ist ein nervöser Blick, vielleicht sogar ein ängstlicher Blick, ein Blick, den Tony nicht sehen soll. Oder soll sie?
Sie verrenkt sich den Hals, um Zenias immer noch erstaunlich schönes Gesicht sehen zu können. Im Geiste fügt sie ihm etwas hinzu: ein kleines rotes X, das die genaue Stelle kennzeichnet.
Zenias Hotelzimmer ist, abgesehen davon, daß es groß und sehr ordentlich ist, nicht weiter bemerkenswert. Die Ordnung ist untypisch für Zenia. Es gibt keine herumliegenden Kleider, keine verstreuten Koffer, keine Kosmetiktaschen auf der Ablage im Badezimmer, soweit Tony das mit einem schnellen Seitenblick feststellen kann. Es ist, als wäre das Zimmer nicht bewohnt.
Zenia zieht ihren schwarzen Ledermantel aus, bestellt telefonisch Kaffee, setzt sich auf das geblümte, pastellgrüne Sofa, schlägt ihre endlosen, schwarzbestrumpften Beine übereinander und zündet sich eine Zigarette an. Das Kleid, das Zenia trägt, ist eine eng anliegende Feinstrickhülle in der Farbe gedünsteter Blaubeeren. Ihre dunklen Augen sind riesig und, wie Tony jetzt sieht, von Müdigkeit überschattet, aber ihr pflaumenfarbenes Lächeln kräuselt sich immer noch voller Ironie. Sie wirkt entspannter als unten in der Halle. Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Lange nicht gesehen«, sagt sie zu Tony.
Tony weiß nicht, was sie tun soll. Wie soll sie dieses Spiel angehen? Es wäre ein Fehler, sich ihren Ärger anmerken zu lassen: es würde Zenia nur warnen, sie vorsichtig machen. Im Geiste mischt Tony die Karten neu und stellt fest, daß sie gar nicht mehr wütend ist, nicht im Augenblick. Statt dessen ist sie fasziniert, und neugierig. Die Historikerin in ihr gewinnt die Oberhand. »Warum hast du deinen Tod vorgetäuscht?« sagt sie. »Was sollte das ganze Theater mit der Asche und dem falschen Anwalt?«
»Der Anwalt war echt«, sagt Zenia und stößt Rauch aus. »Er hat die Story geglaubt. Anwälte sind so vertrauensselig.«
»Und?« sagt Tony.
»Ich mußte von der Bildfläche verschwinden. Glaub mir, ich hatte meine Gründe. Es war nicht nur das Geld! Und ich war tatsächlich verschwunden, ich hatte ungefähr sechs falsche Fährten für jeden ausgelegt, der versuchen würde, mich zu finden. Aber dieser Trottel von Mitch folgte mir überall hin, er gab einfach keine Ruhe. Er vermasselte mir mein ganzes Leben mit seiner verdammten Hartnäckigkeit! Und er hatte das nötige Geld dafür, er hatte Leute engagiert; und keine Amateure. Er hätte mich gefunden, er war dicht davor.
Die Leute wußten das, diese anderen Leute, die ich wirklich nicht sehen wollte. Ich war ein böses Mädchen gewesen, ich hatte das Hütchenspiel gespielt, mit Waffen, von denen sich dann herausstellte, daß sie nicht da waren, wo ich gesagt hatte. Ich würde es keinem empfehlen – Waffenschieber können sehr unangenehm werden, vor allem die irischen. Sie neigen dazu, nachtragend zu sein. Jedenfalls kamen sie dahinter, daß sie nur ein Auge auf Mitch zu halten
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