Die Räuberbraut
bist überhaupt nicht langweilig«, sagte sie. »Du bist der interessanteste Mann, den ich je gekannt habe.« Das stimmte sogar, weil West der einzige Mann war, den Tony je gekannt hatte, jedenfalls auf eine Weise, die zählte.
West hob den Arm und tätschelte ihre Hand. »Ich liebe dich«, sagte er. »Ich liebe dich viel mehr, als ich Zenia je geliebt habe.«
Was ja alles schön und gut ist , denkt Tony, die in der Halle des Arnold Garden Hotel sitzt, aber wenn das wirklich stimmt, wieso hat er mir dann nicht gesagt, daß Zenia angerufen hat? Vielleicht hat er sie schon gesehen. Vielleicht hat sie ihn schon in ihr Bett gelockt. Vielleicht schlägt sie die Zähne genau in diesem Augenblick in seinen Hals; vielleicht saugt sie ihm das Lebensblut aus, während Tony hier in diesem perversen Ledersessel sitzt, ohne auch nur zu wissen, wo sie suchen soll, denn Zenia könnte überall sein, sie könnte alles mögliche tun, und bis jetzt hat Tony nicht den geringsten Hinweis.
Das hier ist das dritte Hotel, in dem sie es versucht. Sie hat zwei andere Vormittage damit verbracht, in der Halle des Arrival und des Avenue Park Hotel herumzusitzen, ohne das geringste Ergebnis. Ihr einziger Anhaltspunkt ist die Nummer, die West notiert und neben seinem Telefon liegengelassen hat, aber Tony hatte Bedenken, die Hotels anzurufen und diese Nummer zu verlangen, weil sie Zenia nicht warnen wollte, sie will sie überrumpeln. Sie will auch nicht an der Rezeption nach ihr fragen, weil sie in den Knochen spürt, daß Zenia einen falschen Namen benutzt; und wenn Tony erst einmal gefragt und erfahren hat, daß es keinen Gast dieses Namens gibt, würde es verdächtig aussehen, wenn sie noch länger in der Halle herumsäße. Außerdem will sie nicht, daß das Personal sich an sie erinnert, sollte Zenia später in einer Blutlache aufgefunden werden. Also sitzt sie einfach nur da und versucht, wie jemand auszusehen, der auf eine geschäftliche Verabredung wartet.
Sie geht dabei von der Annahme aus, daß Zenia – die eine notorische Langschläferin ist – irgendwann einmal aufstehen, den Aufzug nach unten nehmen, durch die Halle kommen muß. Natürlich wäre es Zenia auch zuzutrauen, den ganzen Tag im Bett zu bleiben oder sich über die Feuerleiter davonzuschleichen, aber Tony setzt auf das Wahrscheinlichkeitsgesetz. Früher oder später – und vorausgesetzt, Tony ist im richtigen Hotel – wird Zenia auftauchen.
Und dann? Dann wird Tony aus ihrem Sessel springen oder rutschen, wird zu Zenia hinüber trippeln, wird eine Begrüßung zwitschern, wird von ihr ignoriert werden; wird hinter Zenia herlaufen, die durch die gläserne Drehtür rauscht. Nach Luft japsend und begleitet vom Geklapper der altmodischen Pistole und der albernen, kabellosen Bohrmaschine, die in ihrer Tasche gegeneinander scheppern, wird sie Zenia einholen, die langbeinig über den Bürgersteig marschiert. »Wir müssen miteinander reden«, wird Tony blubbern.
»Worüber?« wird Zenia sagen. Und dann wird sie einfach schneller gehen, und Tony wird entweder in einen lächerlichen Galopp verfallen oder aber aufgeben müssen.
Das ist das Alptraum-Szenarium. Allein der Gedanke läßt Tony vor zukünftiger Demütigung erröten. Es gibt aber auch ein anderes Szenarium, in dem Tony überzeugend und gewieft ist und Zenia sich einlullen läßt, ein Szenarium, das einige von Tonys gewalttätigeren, wenn auch hypothetischen Phantasien in die Tat umsetzt und ein sauberes, rotes Loch beinhaltet, das kompetent genau in die Mitte von Zenias Stirn plaziert wird. Aber im Augenblick ist Tonys Glaube daran nicht besonders ausgeprägt.
Der Versuch, sich auf ihre Notizen zu konzentrieren, ist nicht von Erfolg gekrönt, also wendet sie sich wieder dem Wirtschaftsteil der Zeitung zu und zwingt sich zum Lesen. Nerolrev Eztälpstiebra eretiew. Gnußeilhcssbeirtreb. Der Satz hat einen befriedigenden slawischen Klang. Oder einen finnischen, oder er könnte zu einem Stamm vom Planeten Pluto passen, einem Stamm mit wilden Zottelhaaren. Während Tony diesem Klang noch nachspürt, legt sich eine Hand auf ihre Schulter.
»Tony, da bist du ja endlich!« Tony hebt den Kopf und erstickt nur mit Mühe ein nagetierähnliches Quietschen: Zenia beugt sich mit einem herzlichen Lächeln über sie. »Warum hast du nicht längst angerufen? Und wieso sitzt du hier in der Halle rum? Ich hab West doch meine Zimmernummer gegeben!«
»Na ja«, sagt Tony. Ihre Gedanken rasen, versuchen, das alles irgendwie
Weitere Kostenlose Bücher