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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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schon immer eine gottverdammte Heuchlerin. Eine selbstgefällige, mißgünstige, verschrumpelte kleine Scheißerin mit größenwahnsinnigen Ambitionen. Du bildest dir ein, daß du eine abenteuerlustige Ader hast, aber bitte, verschon mich! Im Herzen bist du ein Feigling, du verbuddelst dich mit deiner perversen kleinen Sammlung von Kriegsverletzungen in diesem bourgeoisen Loch von Spielhäuschen, du hockst auf dem armen West, als wär er dein ureigenstes, frisch gelegtes, beschissenes Ei! Ich wette, er langweilt sich zu Tode, wo er außer dir niemanden hat, in den er seinen langweiligen Schwanz stecken kann! Jesus, es muß sich anfühlen, als würde man eine Wüstenmaus ficken!«
    Tony steht mitten im Zimmer. Ihr Mund klappt auf und zu, aber kein Geräusch dringt aus ihrer Kehle. Die Glaswände schließen sich um sie. Hektisch denkt sie an die kabellose Bohrmaschine in ihrer Tasche, und an die Pistole, nutzlos, nutzlos: Zenia hat recht, sie könnte niemals abdrücken. Ihre Kriege sind hypothetisch. Sie ist zu keiner wirklichen Kampfhandlung fähig.
    Aber Zenias Ausdruck verändert sich jetzt, von wütend zu hinterhältig. »Übrigens hab ich immer noch dieses Referat, du weißt schon, das du damals gefälscht hast. Über den russischen Sklavenhandel, nicht wahr? Klingt nach deiner Art von fehlgelenktem Sadismus, all diese Papierleichen. Du bist ein Schreibtisch-Leichenfledderer, weißt du das? Du solltest es gelegentlich mal mit einer echten Leiche versuchen. Vielleicht steck ich dieses Referat einfach in einen Umschlag und schick es an deine geliebte Fakultät, rühr ein bißchen die Scheiße auf, verursache einen kleinen Skandal! Ich glaub, das würde mir gefallen. Welchen Preis hat akademische Integrität?«
    Tony hat das Gefühl, daß stumpfe Gegenstände an ihrem Kopf vorbeisausen, daß der Boden unter ihren Füßen sich in nichts auflöst. Die Fakultätsmitglieder würden sich freuen: Tony hat zwar Kollegen, aber keine Verbündeten. Vernichtung droht. Zenia ist reine, wahllose Bösartigkeit; sie will Zerstörung, sie will verbrannte Erde, sie will zerbrochenes Glas. Tony versucht, Distanz zu gewinnen, diese Situation als etwas zu betrachten, was vor langer Zeit geschah; so zu tun, als wären sie und Zenia nichts weiter als zwei kleine Figuren auf einem schon zerschlissenen Wandteppich. Vielleicht ist die Geschichte, wenn sie tatsächlich stattfindet, nichts anderes als das: wütende Menschen, die einander anbrüllen.
    Vergiß das Zeremoniell. Vergiß die Würde. Zieh den Schwanz ein und lauf.
    Tony geht mit unsicheren Schritten zur Tür. »Auf Wiedersehen«, sagt sie, so ruhig sie kann, aber ihre Stimme klingt in ihren eigenen Ohren wie ein Quietschen. Panik überwältigt sie, als sie die Tür nicht sofort aufbekommt. Als sie hinausschlüpft, erwartet sie, ein animalisches Knurren zu hören, das Poltern eines schweren Körpers, der sich gegen die Tür wirft. Aber da ist nichts.
    Sie fährt mit dem Aufzug nach unten und hat dabei das seltsame Gefühl, nach oben zu fahren, schlingert wie betrunken durch die Halle, stößt mit den Ledersesseln zusammen. Ein paar Männer stehen an der Rezeption und tragen sich ein. Mäntel, Aktenkoffer, anscheinend eine Konferenz. Vor ihr hängt das Arrangement aus Trockenblumen. Sie greift danach, beobachtet, wie ihre linke Hand sich hebt und einen Stiel abbricht. Irgendwas purpurn Gefärbtes. Sie will zur Tür, findet sich vor der falschen wieder, der, die auf den Innenhof mit dem Brunnen führt. Das hier ist nicht der Ausgang. Sie hat die Orientierung verloren, hat sich im leeren Raum um sich selbst gedreht: die sichtbare Welt ist durcheinandergewirbelt. Sie mag es, wenn die Dinge in ihrem Kopf ordentlich sortiert sind, aber sie sind alles andere als sortiert.
    Sie stopft den geklauten Blütenzweig in ihre Umhängetasche, geht in Richtung Ausgang, schwankt hindurch und steht endlich draußen und atmet die kalte Luft ein. Drinnen war es so rauchig. Sie schüttelt den Kopf, um ihn wieder klarzubekommen. Es ist, als hätte sie geschlafen.

52
    Das ist nicht die Version, die sie Roz und Charis erzählt, jedenfalls nicht genau. Den Teil mit dem Referat läßt sie aus, obwohl sie gewissenhaft all die anderen schlimmen Dinge berichtet, die Zenia zu ihr gesagt hat. Sie berichtet von der Pistole, die ein gewisses, ernsthaftes Gewicht hat, nicht jedoch von der kabellosen Bohrmaschine, die keines hat. Sie berichtet von ihrem eigenen, unrühmlichen Rückzug. Am Ende ihrer Erzählung

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