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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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nicht überleben, wenn noch ein Stück aus seinem Herzen herausgeschnitten würde.
     
    Sie hat Roz und Charis nichts von ihrem Plan erzählt. Beide sind gute Menschen, sie würden Gewaltanwendung nicht billigen. Tony weiß, daß sie selbst kein guter Mensch ist, sie weiß das seit ihrer Kindheit. Sie benimmt sich die meiste Zeit wie einer, weil es gewöhnlich keinen Grund gibt, es nicht zu tun, aber sie hat noch ein anderes Ich, ein skrupelloseres Ich, das in ihrem Inneren verborgen liegt. Sie ist nicht nur Tony Fremont, sie ist auch Tnomerf Ynot, die Königin der Barbaren, und, theoretisch zumindest, vieler Dinge fähig, die Tony selbst nicht tun könnte. Bulc egdirb! Bulc egdirb! Es werden keine Gefangenen gemacht!   Denn um die Unschuldigen zu schützen, müssen manche ihre eigene Unschuld opfern. Das ist eine der Regeln des Krieges. Männer müssen gnadenlose Dinge tun, sie müssen gnadenlose Männerdinge tun. Sie müssen Blut vergießen, damit andere ihr friedliches Leben führen, ihren Babys die Brust geben, in ihren Gärten herumwerkeln und unmusikalische Musik schaffen können, frei von Schuld. Normalerweise sind Frauen nicht aufgerufen, derart kaltblütige Taten zu begehen, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht dazu fähig sind. Tony beißt ihre kleinen Zähne zusammen, beschwört ihre linke Hand und hofft, daß sie der Herausforderung gewachsen sein wird.
    Vor sich hat sie die Globe Mail , den Wirtschaftsteil aufgeschlagen. Aber sie liest nicht: sie hält Ausschau nach Zenia und wird dabei immer kribbeliger, weil sie nicht jeden Tag etwas derart Riskantes tut. Um die Spannung zu mildern, um sich selbst etwas mehr kritische Distanz zu verschaffen, faltet sie die Zeitung zusammen und kramt ihre Vorlesungsnotizen aus der Tasche. Sie wird sich besser konzentrieren können, wenn sie sie noch einmal durchsieht, es wird ihre Erinnerung auffrischen: sie hat diese Vorlesung zum letzten Mal vor einem Jahr gehalten.
    Es ist eine Vorlesung, die bei ihren Studenten sehr beliebt ist. Sie handelt von der Rolle, die Frauen quer durch die Jahrhunderte im Troß der Heere gespielt haben, vor und nach Schlachten – ihrer Nützlichkeit als Leihkörper, Vergewaltigungsopfer und Produzenten von Kanonenfutter, ihren spannungslindernden, krankenpflegerischen, psychiatrischen, kochenden, waschenden und, im Anschluß an die Schlacht, beutemachenden und lebenbeendenden Fertigkeiten – mit einem kurzen Abstecher zu den Geschlechtskrankheiten. Es geht das Gerücht, daß diese Vorlesung bei den Studenten unter dem Titel »Mutter Courage trifft Tripper-Harry« läuft, oder auch unter »Buhlen und Beulen«. Normalerweise zieht sie ein ganzes Kontingent von Gasthörern an, die nur wegen des Anschauungsmaterials kommen, denn Tony besitzt einen eindrucksvollen Lehrfilm, den sie immer vorführt. Es ist derselbe Film, den die Armee im Zweiten Weltkrieg allen neuen Rekruten zeigte, um ihnen die Verwendung von Kondomen anzudienen, und zeigt manch eine abgefaulte Nase und manch ein grünes, tröpfelndes männliches Organ. Tony ist an das nervöse Lachen gewöhnt. Versetzen Sie sich in seine Lage, sagt sie zu ihnen. Stellen Sie sich vor, das da seien Sie. Na? Nicht mehr ganz so lustig?
    Damals galt Syphilis als Selbstverstümmelung. Manche Männer gebrauchten Geschlechtskrankheiten, um sich als kriegsversehrt nach Hause schicken zu lassen. Man konnte, wenn man sich angesteckt hatte, genauso vor ein Kriegsgericht gestellt werden, wie wenn man sich selbst in den Fuß schoß. Wenn die Krankheit die Verletzung war, dann war die Prostituierte die Waffe. Noch eine Waffe im Kampf der Geschlechter, eine rohe Waffe.
    Vielleicht war es das, was West an Zenia so unwiderstehlich fand, hat Tony früher gedacht: daß sie roh war, daß sie den rohen Sex verkörperte, während Tony selbst nur die gekochte Abart war. Vorgegart, um die gefährliche Wildheit daraus zu entfernen, den intensiven Geschmack von frischem Blut. Zenia war ein Gin um Mitternacht, Tony war Eier zum Frühstück, und dazu noch in Eierbechern. Es ist nicht die Kategorie, die Tony vorgezogen hätte.
    All die Jahre hat Tony darauf verzichtet, West nach Zenia zu fragen. Sie wollte ihn nicht aus dem Gleichgewicht bringen; außerdem hatte sie Angst davor, mehr über Zenias Anziehungskraft zu erfahren, über ihre Natur und ihr Ausmaß. Aber nach Zenias Rückkehr konnte sie nicht anders. Am Vorabend der Krise mußte sie es wissen.
    »Erinnerst du dich noch an Zenia?« fragte sie West beim

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