Die Räuberbraut
Abendessen, vor zwei Tagen. Es gab Fisch, eine sole ä la bonne femme, aus Tonys französischem Kochbuch, das sie passend zu ihrer Schlachtfeld-von-Pourrieres-Fischplatte gekauft hatte.
West hörte auf zu kauen, nur für einen Augenblick. »Natürlich«, sagte er.
»Was war es?« sagte Tony.
»Was war was?« sagte West.
»Warum – du weißt schon. Warum du mit ihr gegangen bist.« Tony spürte, wie sie sich am ganzen Leib verkrampfte. Statt mit mir, dachte sie. Warum du mich verlassen hast.
West zuckte die Schultern, dann lächelte er. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es ist schon so lange her. Außerdem ist sie tot.«
Tony wußte, daß West wußte, daß Zenia alles andere als tot war. »Stimmt«, sagte sie. »War es der Sex?«
»Der Sex?« sagte West, als hätte sie einen vergessenen, aber unwichtigen Punkt auf der Einkaufsliste erwähnt. »Nein, ich glaub nicht. Nicht direkt.«
»Was meinst du mit ›nicht direkt‹?« sagte Tony, schärfer, als sie es hätte tun sollen.
»Wieso reden wir eigentlich darüber?« sagte West. »Es spielt keine Rolle mehr.«
»Es spielt für mich eine Rolle«, sagte Tony mit leiser Stimme.
West seufzte. »Zenia war frigide«, sagte er. »Sie konnte nichts dafür. Sie wurde als Kind sexuell mißbraucht, von einem griechisch-orthodoxen Priester. Sie hat mir leid getan.«
Tonys Mund klappte auf. »Griechisch-orthodox?«
»Na ja, sie war zum Teil griechischer Herkunft«, sagte West. »Griechische Immigranten. Sie konnte keinem von dem Priester erzählen, weil niemand ihr geglaubt hätte. Es war eine sehr religiöse Gemeinde.«
Tony konnte kaum an sich halten. Sie spürte, wie eine wilde, ungehörige Heiterkeit in ihr aufwallte. Frigide! Das also hatte Zenia dem armen West erzählt! Es stimmt in nichts mit gewissen Vertraulichkeiten zum Thema Sex überein, die mit Tony zu teilen Zenia einst für opportun hielt. Sex als ein gigantischer Schokoladenpudding, als Sortiment grandioser Genüsse, deren Freuden sie aufzählte, während Tony zuhörte, ausgeschlossen, die Nase an die Schaufensterscheibe gepreßt. Tony konnte sich nur allzugut vorstellen, wie Ritter West in seiner weißen Rüstung sich pflichtschuldigst abmühte und abzappelte und sein bestes Pulver verschoß, um Zenia von dem Bann zu erlösen, den der böse, nicht existente griechisch-orthodoxe Priester ihr auferlegt hatte, während Zenia sich fühlte wie die Made im Speck. Wahrscheinlich erzählte sie ihm, sie täusche ihre Orgasmen nur vor, um ihm einen Gefallen zu tun. Damit er sich dann gleich doppelt schuldig fühlen konnte.
Natürlich mußte es für ihn eine Herausforderung gewesen sein, die Eisprinzessin aufzutauen. Der erste Mann, dem es gelang, diese polaren Klimazonen erfolgreich zu erkunden. Aber natürlich konnte er bei diesem Spiel nicht gewinnen, weil Zenias Karten immer gezinkt waren.
»Das hab ich nicht gewußt«, sagte sie. Sie fixierte West mit großen, weit geöffneten Augen und versuchte, mitfühlend auszusehen.
»Hm, ja«, sagte West. »Sie fand es wirklich schwer, darüber zu reden.«
»Warum hast du dich von ihr getrennt?« sagte Tony. »Das zweite Mal. Warum bist du ausgezogen?« Jetzt, wo die Grenze des nie Gesagten überschritten war, jetzt, wo West endlich redete, konnte sie ihren Vorteil genausogut ausnutzen.
West seufzte. Er sah Tony mit einem Ausdruck an, der an Scham grenzte. »Um ehrlich zu sein«, sagte er und verstummte.
»Ja?« sagte Tony.
»Um ehrlich zu sein, sie hat mich rausgeworfen. Sie hat gesagt, ich bin ihr zu langweilig.«
Tony war über sich selbst entsetzt, weil sie fast laut aufgelacht hätte. Vielleicht hatte Zenia recht: in gewisser Weise war West langweilig. Aber des einen Ul ist des anderen Nachtigall, und West war auf dieselbe Weise langweilig, wie Kinder langweilig sind, und auf dieselbe Weise interessant, aber das würde eine Frau wie Zenia nie verstehen. Und überhaupt, was war das schon für eine Liebe, die ein bißchen Langeweile nicht ertragen konnte?
»Ist mit dir alles in Ordnung?« fragte West.
»Ich hab mich nur an einer Gräte verschluckt«, sagte Tony.
West ließ den Kopf hängen. »Wahrscheinlich bin ich wirklich langweilig.«
Tony hatte widersprüchliche Empfindungen. Es war grausam von ihr, das hier komisch zu finden. Es war nicht komisch, weil West zutiefst verletzt worden war. Sie stand vom Tisch auf und legte von hinten die Arme um ihn und schmiegte die Wange an seinen spärlich behaarten Kopf. »Du
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