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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Kaffeemühle. Alles in Schubfächern verschwinden zu lassen war doch keine so berauschende Idee, nie findet sie was. Vor allem nicht die Topfdeckel. Der klare Look, hatte dieser Idiot von Innenarchitekt gesagt. Solche Leute schüchtern sie immer ein.
    »Ooh«, macht die andere. Paula. Errie und Pollie, so nennen sie sich gegenseitig, oder Er und La, oder, wenn sie als Kollektiv sprechen, Erla. Es ist unheimlich, wenn sie das tun. Erla geht heute abend aus. Es bedeutet, alle beide. »Ooh, du böser Zwilling. Du hast die Gefühle der Mommie verletzt! Du bist so verdorben, verdorben bis auf die Knochen!« Letzteres ist eine Imitation von Roz, wenn sie ihre eigene Mutter imitiert, die das ständig sagte. Ganz plötzlich hat Roz Sehnsucht nach ihr, nach ihrer barschen, kämpferischen, einst verachteten, seit langem toten Mutter. Sie hat es satt, selbst Mutter zu sein, sie will zur Abwechslung ein Kind sein. In dieser Hinsicht ist sie ziemlich leer ausgegangen, und es sieht so aus, als würde es sehr viel mehr Spaß machen.
    Die Zwillinge lachen begeistert. »Egoistische, verderbte Jauchegrube«, sagt die eine zur anderen.
    »Unrasierte Achselhöhle!«
    »Stinkender Tampon!«
    »Gebrauchte Slipeinlage!« Sie können stundenlang so weitermachen, sich immer schlimmere Beleidigungen füreinander ausdenken und so unbändig lachen, daß sie sich vor lauter Begeisterung über ihren eigenen, empörenden Humor auf dem Boden wälzen und mit den Beinen strampeln. Was Roz am meisten verwirrt, ist die Tatsache, daß so viele ihrer Beleidigungen so, ja, so sexistisch sein können. Nutte und Schlampe gehören noch zu den harmlosesten; sie fragt sich, ob sie sich auch von Jungen so nennen lassen würden. Wenn die beiden denken, daß Roz sie nicht hört, können sie noch obszöner werden, oder was Roz für obszön hält. Mösenkaugummi. So etwas wäre damals, als Roz erwachsen wurde, nicht einmal denkbar gewesen. Dabei sind die beiden erst fünfzehn!
    Die Menschen tragen ihr Vokabular ihr ganzes Leben lang mit sich herum wie einen Schildkrötenpanzer, denkt Roz. Plötzlich sieht sie die Zwillinge mit achtzig, ihre schönen Gesichter verwüstet, ihre längst verdorrten Beine immer noch in bunten Strumpfhosen, Gymnastiksocken an den schwieligen Füßen, wie sie immer noch Mösenkaugummi sagen. Sie schüttelt sich vor Grausen.
    Klopf lieber auf Holz, korrigiert sie sich dann. Daß sie so lange leben.
    Die Kaffeemühle ist nicht da; jedenfalls nicht da, wo sie sie gestern hingetan hat. »O verflixt noch mal, Kinder«, sagt sie. »Habt ihr meine Kaffeemühle verkramt?« Vielleicht war es Maria. Gestern war einer von Marias Putztagen.
    »O verflixt noch mal«, sagt Paula. »Oh, meine verflixte Kaffeemühle. O Göttchen verflixt zum Teufel noch mal!«
    »O du liebes Donnerwetter, o heilige Minna Muttergottes«, sagt Erin. Sie finden es zum Schreien, daß Roz nicht richtig fluchen kann. Aber sie kann nicht. Die Worte sind zwar in ihrem Kopf, aber sie bringt sie nicht über die Lippen. Willst du, daß die Leute dich für gewöhnlich halten?
    Sie muß ihnen so archaisch Vorkommen. So veraltet, so fremd. Sie hat die erste Hälfte ihres Lebens damit verbracht, sich immer weniger wie eine Immigrantin zu fühlen, und jetzt verbringt sie die zweite Hälfte damit, sich mehr und mehr wie eine zu fühlen. Ein Flüchtling aus dem Land der mittleren Jahre, gestrandet im Land der Jungen.
    »Wo ist euer großer Bruder?« sagt sie. Das bringt die beiden ein bißchen zur Vernunft.
    »Wo er um diese Tageszeit meistens ist«, sagt Erin mit einem Hauch von Verachtung. »Er tankt Energie.«
    »Er knackt«, sagt Paula, als würde sie gerne zum Witzeln zurückkehren.
    »Traumland«, sagt Erin nachdenklich.
    »Larryland«, sagt Paula. »Grüße, Erdling, ich komme von einem fernen Planeten.«
    Roz überlegt, ob sie Larry wecken soll und entscheidet sich dagegen. Wenn er schläft, hat sie ein sichereres Gefühl. Er ist der Erstgeborene, der erstgeborene Sohn. Kein besonderes Glück, das zu sein. In früheren Zeiten wäre er als Opfer prädestiniert gewesen. Es ist auch nicht gut, daß er nach Mitch genannt wurde. Laurence Charles Mitchell, was für eine gewichtige und pompöse Kombination für einen so verletzlichen kleinen Jungen. Obwohl er zweiundzwanzig ist und einen Schnurrbart trägt, sieht sie ihn immer noch so, als einen kleinen Jungen.
    Roz findet die Kaffeemühle, in der Schublade unter dem Backofen, zwischen den Bratpfannen. Sie muß unbedingt mit Maria reden.

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